Weitere Abnahme des Grauwalbestandes an der nordamerikanischen Westküste 

von | Southwest Fisheries Science Center | La Jolla | 30. Oktober 2022

Nach einer Erhebung durch NOAA Fisheries, der US Behörde für Ressourcen des Meeres, ist der Bestand der Grauwale der nordamerikanischen Westküste in den letzten zwei Jahren weiter zurückgegangen. In den Jahren 2015 und 2016 hatte die Population der wandernden Wale den letzten Höchststand erreicht. Seitdem ging es aber stetig bergab und die Population liegt nun 38 Prozent unterhalb des letzte Höchstwertes. Die Forscher untersuchen die Gründe dafür. Auch die Zahl der Kälber hat den geringsten Wert seit Beginn der Zählungen im Jahr 1994 erreicht.

Totes Grauwalkalb am Strand in Kalifornien. Das Kalb ist Opfer eines Schwertwalangriffs geworden. Bild: docentjoyce, CC BY 2.0

Schon früher gab es Schwankungen der Bestandsgröße im östlichen Nordpazifik. Im Jahr 2016 kam es mit etwa 27.000 Grauwalen zu einem Höchststand. Der aktuelle Rückgang auf 16.650 Tiere liegt im Rahmen der bekannten Schwankungen. Normalerweise werden Bestandsschätzungen für Grauwale  über einen Zeitraum von zwei Jahren durchgeführt. Aber die Wissenschaftler des Southwest Fisheries Science Center sind der Ansicht, dass die aktuelle Bestandsabnahme ein engeres Monitoring rechtfertigt.

Daher wird NOAA Fisheries zwischen Ende Dezember und Mitte Februar 2023 eine weitere Beobachtung durchführen. Dann werden Grauwale gezählt, die entlang der zentralkalifornischen Küste ziehen.

„Angesichts des anhaltenden Rückgangs der Bestandszahlen seit 2016 müssen wir unsere Grauwale genau beobachten, um zu verstehen, was der Grund für diesen Trend sein könnte“, sagt Dr. David Weller, Direktor der Abteilung für Meeressäuger und Schildkröten am Science Center. „Wir haben beobachtet, dass sich die Population im Laufe der Zeit verändert hat, und wir wollen das im Auge behalten.“

Ereignis ungewöhnlicher Todesrate verkündet

Im Jahr 2019 veranlasste die Zunahme von Grauwalstrandungen NOAA Fisheries dazu, ein Ereignis ungewöhnlicher Todesrate (Unusual Mortality Event) für die Grauwal-Population zu verkünden. Daraufhin wurde eine Untersuchung eingeleitet, die  nach den Ursachen suchen sollte. Diese noch laufende Untersuchung hat mehrere mögliche Verursacher ausgemacht. Dazu gehören ökologische Veränderungen in der Arktis, die sich auf den Meeresboden und die Flohkrebse und andere wirbellose Tiere auswirken, die im und über dem Sediment und in der Wassersäule leben (MOORE et al. 2022). Diese sind wichtige Nahrung für die Grauwale im Sommer.

Für einige Grauwale könnten diese Veränderungen zu Problemen bei der Nahrungssuche geführt haben, sagte Dr. Sue Ellen Moore, eine Forscherin der University of Washington. Sie leitet das Team zur Bewertung der ökologischen Einflüsse in Bezug auf das Ereignis ungewöhnlicher Todesrate. Sie ergänzte, dass sich Grauwale von einer Vielzahl von Beutetieren in einem riesigen Gebiet ernähren, so dass es viele Faktoren geben könnte, die beeinflussen, wie, wann und wo sie Nahrung finden.

Viele der rund 600 toten Grauwale, die zwischen 2019 und 2022 untersucht wurden, schienen unterernährt zu sein, einige aber auch nicht. Andere Todesursachen waren etwa Kollisionen mit Schiffen oder Folgen von Schwertwalangriffen. Die Strandungszahlen stiegen 2019 zunächst sprunghaft an, gingen dann aber in den Folgejahren zurück. Dies deutet darauf hin, dass der größte Teil des Bestandsrückgangs wahrscheinlich in den Jahren kurz nach der Feststellung des Ereignisses ungewöhnlicher Todesrate stattfand.

„Es gibt keine einzelne Ursache, die alle Strandungen erklärt“, sagte Deborah Fauquier, Tierärztin im Marine Mammal Health and Stranding Response Program von NOAA Fisheries, die die Untersuchungen zum Ereignis ungewöhnlicher Todesrate koordiniert. „Es scheint mehrere Einflüsse zu geben, die wir noch zu verstehen versuchen.“

Grauwalbestand ist ein Spiegelbild des sich wandelnden Meeres

Grauwale sind bekannt für ihre jährliche Wanderung entlang der nordamerikanischen Westküste. Dieser Grauwalbestand hat auch in der Vergangenheit stark geschwankt.  Von den späten 1980er bis zu den frühen 1990er Jahren gab es einen ähnlichen Rückgang von etwa 40 Prozent. Später stieg diese Grauwalpopulation wieder auf einen neuen Höchststand. Die Grauwale im östlichen Pazifik haben sich von den Folgen des kommerziellen Walfangs vollständig erholt und wurden 1994 von der Liste der bedrohten Arten gestrichen.

In den Jahren 1999 und 2000 führte ein ähnlicher Anstieg der Strandungen, bei dem die Population um etwa 25 % zurückging, dazu, dass ebenfalls ein Ereignis ungewöhnlicher Todesrate festgestellt wurde. Bis 2015/2016 erreichte der Grauwalbestand dann wieder einen Höchststand. (In der Tabelle 1 des Berichts ist zwar eine höhere Schätzung für 2014/2015 zu finden, aber diese Bestandsschätzung war weniger präzise, so dass sich die Wissenschaftler auf die Schätzung für 2015/2016 stützen).

Die meisten Grauwale des Ostpazifiks wandern zwischen den sommerlichen Nahrungsgründen in der Arktis und den Lagunen in Baja Mexico im Winter, wo die Kälber geboren werden. Auf dieser jährlichen Rundreise von mehr als 16.000 Kilometern sind sie vielen Stressfaktoren ausgesetzt. Eine kleine Gruppe von Grauwalen verbringt den Sommer auch bei der Nahrungsaufnahme an der pazifischen Nordwestküste.

Der Grauwalbestand schwankte wahrscheinlich schon immer in Reaktion auf Veränderungen in der Umwelt und das ohne dauerhafte Auswirkungen, so der Biologe Dr. Tomo Eguchi, Hauptautor der neuen NOAA Fisheries-Veröffentlichungen über die Populationsgröße und die Reproduktionsraten. „Der Grauwalbestand hat sich in der Vergangenheit mehrfach von niedrigen Zahlen erholt“, sagte er. „Wir sind vorsichtig optimistisch, dass dies auch dieses Mal so sein wird. Das weitere Monitoring wird zeigen, ob und wann er sich wieder erholt.“

Entwicklung des Grauwalbestandes an der nordamerikanischen Westküste seit 1994 (blaue Säulen). Dazu die neugeborenen Grauwalkälber pro Jahr (graue Balken). Die roten Flächen markieren auffällige Bestandsrückgänge. Daten: NOAA, Graphik: Cetacea.de, 2022

Auch Abnahme der Geburten

Die Forscher von NOAA Fisheries schätzen den Grauwalbestand, indem sie die Wale zählen, die nach Süden in Richtung Mexiko ziehen. Die Reproduktionsraten werden ermittelt, indem Grauwalkühe mit neugeborenen Kälbern gezählt werden, die jedes Frühjahr von den Lagunen in Baja California nach Norden wandern. Die jüngste Zählung, die im Mai abgeschlossen wurde, ergab eine Gesamtzahl von etwa 217 neuen Kälbern. Dies ist ein Rückgang gegenüber 383 Kälbern im letzten Jahr und die niedrigste Zahl seit Beginn der Zählungen im Jahr 1994.

Wie der Grauwalbestand insgesamt, schwankt auch die Zahl der jährlich geborenen Kälber. Niedrige Kälberzahlen traten in zusammenhängenden Zeiträume von drei bis vier Jahren auf, bevor sie wieder anstiegen. Zwei der drei vorangegangenen Perioden mit geringer Kalberate trafen auch mit Ereignissen ungewöhnlicher Todesrate und Rückgängen des Bestandes zusammen. Dieselben Faktoren, die das Überleben der Grauwale beeinflussen, scheinen auch ihre Fortpflanzung zu beeinträchtigen, so die Feststellung des Berichts über die Geburtenraten bei Grauwalen.

Mit Luftaufnahmen in den Lagunen in Mexiko konnte eine Gewichtsabnahme von ausgewachsenen Grauwalen gezeigt werden (CHRISTIANSEN et al. 2021). Das deutet auf einen Zusammenhang zwischen Reproduktionsrate und Zustand der Grauwale hin. „Je nach Alter der Wale kann der mangelhafte Ernährungszustand zu einer verzögerten Fortpflanzung, einer geringeren Kälberzahl und/oder einer geringeren Überlebensrate bei abgemagerten Walen geführt haben“, so die Wissenschaftler.

Im Dezember werden die Teams mit der nächsten Zählung beginnen, indem sie mit riesigen Ferngläsern Wale beobachten, die am Granite Canyon, südlich der Monterey Bay in Kalifornien, nach Süden ziehen. „Wir hoffen, dass sich der Bestand in den nächsten Jahren stabilisieren und dann wieder zunehmen wird“, sagte Dr. Aimee Lang, Co-Autorin der neuen Berichte. „Wir werden das genau beobachten.“

Dies ist die Übersetzung einer Presseinformation des Southwest Fisheries Science Center.

Fachliteratur zum Thema

CHRISTIANSEN, F., F. RODRÍGUEZ-GONZÁLEZ, S. MARTÍNEZ-AGUILAR, J. URBÁN, S. SWARTZ, H. WARICK, F. VIVIER und L. BEJDER (2021):
Poor body condition associated with an unusual mortality event in gray whales.
Marine Ecology Progress Series 658: 237-252.

EGUCHI, T., A. R. LANG und D. W. WELLER (2022):
Eastern North Pacific gray whale calf production 1994-2022.
U.S. Department of Commerce. NOAA technical memorandum NMFS-SWFSC 667, 10 S.

EGUCHI, T., A. R. LANG und D. W. WELLER (2022):
Abundance and migratory phenology of eastern North Pacific gray whales 2021/2022.
U.S. Department of Commerce. NOAA technical memorandum NMFS-SWFSC 668, 10 S.

MOORE, S. E., J. T. CLARKE, S. R. OKKONEN, J. M. GREBMEIER, C. L. BERCHOK and K. M. STAFFORD (2022):
Changes in gray whale phenology and distribution related to prey variability and ocean biophysics in the northern Bering and eastern Chukchi seas.
PLoS One 17(4):e0265934.

Links zum Thema

Southwest Fisheries Science Center: Gray Whale Condition and Calf Production.

Wal und Mensch: Die Saison der Grauwale in einem Überwinterungsgebiet.

Ein Grauwalkalb auf dem Weg in die Freiheit