Wie sich Munitionssprengungen auf Schweinswale auswirken

von | tiho/itaw | Hannover | 27. Januar 2022

Im Vorfeld des Nato-Manövers „Northern Coasts“ hat die Bundeswehr Ende August 2019 im Meeresschutz- und NATURA 2000 Gebiet „Fehmarnbelt“ Kriegsmunition gesprengt. Während des Manövers wurden weitere Fliegerbomben ohne Schallschutz zur Explosion gebracht. Das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover hat den Auftrag bekommen, die vermehrt verendeten Schweinswale zu untersuchen und hat jetzt die Untersuchungsergebnisse veröffentlicht.

Ein Forschungsteam aus dem Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersuchte 24 tote Schweinswale auf Hörschäden und veröffentlichte die Ergebnisse im Fachmagazin „Environment International“. Eingesammelt wurden die Schweinswale mit Hilfe des vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein finanzierten Strandungsnetzes. Die Tiere wurden zwischen September und November 2019 an verschiedenen Orten der Ostseeküste Schleswig-Holsteins tot aufgefunden – einige Wochen nachdem 42 britische Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg ohne weitere Schallschutzmaßnahmen nahe dem Schutzgebiet Fehmarn in der Ostsee gesprengt wurden. Die Todesursache von zehn Schweinswalen bringen die Forschenden mit Explosionsverletzungen in Verbindung.

Fundstellen der 24 von September bis November 2019 tot angespülten Schweinswale. Ende August wurden im Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt während eines NATO Manövers 42 Minen ohne Schallschutz gesprengt. Daten aus Siebert et al. 2022, Graphik auf Basis von NordNordWest, CC BY-SA 3.0

Die auf Meeressäuger spezialisierten Tierärztinnen und Tierärzte sowie Biologinnen und Biologen des ITAW führten eine umfassende pathologische Untersuchung der Tiere durch, die besonders auch den Hörapparat und das akustische Fett berücksichtigten. Um andere Erkrankungen ausschließen zu können, nahmen sie nach der Obduktion zudem weiterführende feingewebliche, mikrobiologische, virologische und parasitologische Untersuchungen vor. Das Institut für Osteologie und Biomechanik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf führte gemeinsam mit den Gehör-Fachleuten des ITAW bildgebende Verfahren durch, um auch minimalste Schäden an den für die Orientierung der Tiere wichtigen Ohren entdecken zu können.

Die Obduktionsergebnisse

Bei den entlang der Eckernförder, Kieler und Lübecker Bucht aufgefundenen Schweinswalen handelte es sich um drei Neugeborene, 15 Jungtiere und sechs ausgewachsene Tiere (14 Weibchen und 10 Männchen). Bei zehn Schweinswalen fanden die Forschenden krankhafte Auskugelungen und Frakturen der Mittelohrknochen, Blutungen im akustischen Fett des Unterkiefers und des Gehörapparates sowie der Melone. Derartige Verletzungen können nur durch starke Druckwellen, wie sie bei Explosionen entstehen, hervorgerufen werden. Die Melone ist ein für die Echoortung wichtiges Organ aus verschiedenen Fettgewebsschichten und von essentieller Bedeutung für Orientierung, Kommunikation und Beutefang. Einer dieser Schweinswale zeigte zusätzlich schwere Blutungen und Hämatome in der Muskel- und Fettschicht, was auf ein stumpfes Explosionstrauma hindeutet. Ein weiterer junger Schweinswal mit Explosionsverletzungen wurde beigefangen. Bei beiden Tieren gehen die Forschenden davon aus, dass Sprengungsverletzungen die Orientierungsfähigkeit der Tiere erheblich herabgesetzt hatten.

Schadenspotenzial ungeschützter Unterwasserexplosionen für Schweinswale

ITAW-Leiterin Professorin Dr. Ursula Siebert sagt: „Dank der Finanzierung unserer Spezialuntersuchungen durch das Bundesamt für Naturschutz konnten wir erstmals zeigen, dass die Unterwassersprengungen schwere Auswirkungen auf Schweinswale haben können. Dies unterstreicht das hohe direkte und indirekte Schadenspotenzial der Sprengungen.“ Da die Menge der Munitionsaltlasten in der deutschen Nord- und Ostsee riesig sei, so Siebert weiter, und mit zunehmenden Aktivitäten, wie etwa dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen, regelmäßig kurzfristig Sprengungen vorgenommen würden, müssen Schweinswale und andere Meerestiere besser geschützt werden. Um die Auswirkungen von Explosionen auf Populationsebene beurteilen zu können, sollten umfangreiche gesundheitliche Bewertungen des Gesundheitszustandes gestrandeter Wale inklusive Gehöruntersuchungen vorgenommen werden. „Die Sprengungen sorgen außerdem dafür, dass die Tiere ihr Verhalten deutlich ändern und unter Stress stehen, sodass dies auch in die Bewertung der Gesamtbelastung der Schweinswalpopulationen in deutschen Gewässern einbezogen werden muss“, so Siebert.

Anthropogene Einflüsse gefährden Schweinswale

Der Schweinswal ist Deutschlands einzige Walart. Doch die empfindsamen Meeresbewohner sind stark gefährdet und in der zentralen Ostsee vom Aussterben bedroht. Ihr Lebensraum ist einer Vielzahl anthropogener Einflüsse ausgesetzt. Gefährdungen für den Bestand der Schweinswale sind neben Erkrankungen und klimatischen Veränderungen vor allem menschliche Tätigkeiten wie Fischerei, Tourismus, Schifffahrt und zunehmender Lärmeintrag durch Bau und Betrieb von Offshore-Windanlagen, seismische Erkundungen, U-Boote und Unterwassersprengung von Militärmunition. In der Ost- und Nordsee befinden sich noch immer große Munitionsvorkommen, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg in großen Mengen ins Meer geworfen wurden und nun bei neuen Aktivitäten, wie dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen, Pipelines oder der Verlegung von Schiffsrouten, häufig schnell gezündet werden müssen. Die Detonationen führen zu extremen Schallbelastungen, die für die meisten Tiere im Nahbereich tödlich sind und auch in weiten Entfernungen noch erhebliche Schäden verursachen können.

Fachpublikation:

SIEBERT, U., J. STÜRZNICKEL, T. SCHAFFELD, R. OHEIM, T. ROLVIEN, E. PRENGER-BERNINGHOFF, P. WOHLSEIN, J. LAKEMEYER, S. ROHNER, L. AROHA SCHICK, S. GROSS, D. NACHTSHEIM, C. EWERS, P. BECHER, M. AMLING, und M. MORELL (2021):
Blast injury on harbour porpoises (Phocoena phocoena) from the Baltic Sea after explosions of deposits of World War II ammunition.
Environ Int 159:107014.
DOI: 10.1016/j.envint.2021.107014

Dies ist eine Presseinformation der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Weitere Veröffentlichungen zum Thema

BUNDESREGIERUNG (2014):
Gefahren und Bergung von Waffen- und Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Kleine Anfrage an die Bundesregierung, Drucksache 18/2666.

BUNDESREGIERUNG (2018):
Verwendung von Blasenschleiern beim Sprengen von Altmunition. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Möhring, Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
Kleine Anfrage an die Bundesregierung, Drucksache 19/4511:4.

BUNDESREGIERUNG (2019): 
Sprengungen von Munitionsaltlasten und Kampfmitteln in Meeresschutzgebieten. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Claudia Müller, Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Kleine Anfrage an die Bundesregierung, Drucksache 19/13878:6. 

KOLLENBERG, R. (2022):
Munitionsaltlasten vor deutschen Küsten und deren Bezug zum Gewässerschutz-, Naturschutz- und Gefahrenabwehrrecht.
Natur und Recht 44(1): 21-28.
DOI: 10.1007/s10357-021-3947-7