Wind und Wale

von Klaus Lucke | WuM | Hannover | 14. Januar 2003

Mögliche Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf marine Säugetiere

Dipl.-Biologe Klaus Lucke
Forschungs- und Technologiezentrum Westküste

Vortrag am 14. Januar 2003 im Hörsaal des Physiologischen Instituts

Zusammenfassung
Die Nutzung der Weltmeere durch den Menschen hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant gesteigert. Den Anfang machte die Schifffahrt, aber mittlerweile nutzen wir das Meer nicht nur zum Transport, Fischfang und Vergnügen, sondern auch zur Gewinnung von Rohstoffen, allen voran Öl und Gas sowie zu militärischen und wissenschaftlichen Zwecken. Gegenwärtig entsteht eine neue Form der industriellen Nutzung der Meere – durch die Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen (WEAs). Der Anblick der großen Rotoren ist uns an Land mittlerweile nicht nur im Küstenraum vertraut, aber einerseits stoßen die Betreiber der Anlagen zunehmend auf den Widerstand von Anwohnern, die sich durch derartige Anlagen belästigt fühlen, zum anderen sind die besten Windlagen bereits vergeben. Anders auf hoher See: dort waren bis vor kurzem, so schien es, bis auf die Ölplattformen keine Flächen besetzt. Darüber hinaus herrschen auf dem Meer bessere und vor allem gleichmäßigere Windbedingungen für den Betrieb einer Windenergieanlage und wer sollte sich dort draußen schon an dem Anblick der Windräder stören?

Den Anfang machten in Europa wohl die Dänen, die frühzeitig auf einen großflächigen Ausbau der Windenergie auf hoher See setzten – einerseits, um die Ziele des Kyotoprotokolls zur Einsparung von CO2 erfüllen zu können, zum anderen, um den bekannten dänischen Windkrafthersteller auch international in eine gute Wettbewerbsposition zu verschaffen. Mit einiger Verspätung setze eine ähnliche Entwicklung auch in Deutschland und anderen Ländern ein. Mittlerweile stellen die deutschen Pläne die weltweit vermutlich ehrgeizigsten Ziele hinsichtlich einer umfassenden Nutzung mariner Standorte dar.

Demnach sollen im Bereich der deutschen Nord- und Ostsee in den nächsten Jahren mindestens 29 Windparks entstehen. Die meisten dieser Windparks werden in einer ersten Ausbaustufe – Pilotphase genannt – bis zu 80 Anlagen umfassen. In einer zweiten Ausbauphase sollen einzelne Windparks bis auf jeweils mehrere hundert Anlagen ausgebaut werden. Die Anlagen werden deutlich größer dimensioniert sein, als die uns bekannten Anlagen an Land. So ist eine Nabenhöhe (Mittelpunkt des Rotors) von über 100m sowie eine Länge der einzelnen Rotorblätter von über 50m geplant. Jede dieser Anlagen wird dann zwischen 2 und 5 MW (Megawatt) Strom pro Stunde erzeugen. Zur Errichtung derartiger Anlagen werden gegenwärtig spezielle Schiffe gebaut, die in der Lage sind, mehrere Anlagen gleichzeitig an Bord zu nehmen und sich dann auf hoher See, einer Ölbohrplattform gleich, auf dem Meeresboden anzustützen und die Anlagen zu errichten. Die Anlagen werden auf unterschiedliche Weise errichtet: im Flachwasserbereich (bis 10m Wassertiefe) kann man auf sogenannte Schwerkraftfundamente bauen, die alleine durch das riesige Gewicht des Sockels die gesamte Last der Anlagen stützen können. In Wassertiefen bis zu 25m sollen die sogenannten Monopiles zum Einsatz kommen; dabei wird ein langer Pfahl, der als Sockel für die eigentliche Anlage dient, mehrere 10m tief in den Boden eingebracht. Auf diesen Sockel wir dann die WEA einfach aufgesetzt. In größeren Tiefen werden die Anlagen voraussichtlich mit Hilfe von Tripodserreichtet – anstelle eines einzelnen Pfahls werden dann drei Pfähle in den Boden eingebracht, die zusammen als Stützgerüst für den Mast der WEA dienen.

Um sich nicht gegenseitig den Wind aus den Segeln zu nehmen sowie aus Sicherheitsgründen wird zwischen den einzelnen Anlagen ein Sicherheitsabstand von mehreren hundert Meter eingehalten. Die Windparks werden somit große Flächen abdecken. Auf den Karten des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sind die dicht rot schraffierten Flächen der Pilotphase sowie die weniger dicht rot schraffierten Flächen der zweiten Ausbaustufe zu sehen.

Nordsee: Offshore Windparks. Stand 2017 Quelle BSH, 13.10.2017

Aufgrund rechtlicher Zuständigkeiten sowie der damit verbundenen Vorgaben und Auflagen liegen die meisten Planungsgebiete für Offshore WEAs außerhalb der 12-Seemeilenzone, in der Ausschließlichen WirtschaftszoneDeutschlands. Dort liegt die Zuständigkeit nicht bei den angrenzenden Bundesländer, sondern beim Bund. Die für die Genehmigung der Windparks zuständige Bundesbehörde ist das BSH. Die jeweils aktuellsten Fassung dieser Pläne zum Ausbau der Offshore-Windenergie können auf den Internetseiten des BSH in Hamburg abgerufen werden.

Obwohl die gesteigerte Nutzung regenerativer Energien wie der Windkraft per se durchaus positiv zu bewerten ist und sich die Bundsregierung sogar zum Ziel gesetzt hat, bis 2050 die Hälfte des Strombedarfs aus solchen Energiequellen zu decken, kamen nach Bekanntwerden der ersten Pläne doch Bedenken hinsichtlich der geplanten Art und des Umfangs der Verwirklichung dieser Pläne auf.

Wo liegt das Problem?

Seehund © NOAA

Im Folgenden sollen einige Aspekte genannt werden, die zur Zeit kontrovers diskutiert werden – die Auswirkungen der Windparks auf die marinen Säugetiere. Davon gibt es in den deutschen Gewässern vor allem drei Arten: den Seehund (wissenschaftlicher Name: Phoca vitulina), die Kegelrobbe (Halichoerus grypus) und den Schweinswal (Phocoena phocoena). Alle anderen Wal- und Robbenarten sind nur mehr oder weniger seltene Gäste, die in unseren Gewässern nicht heimisch sind. Die Liegeplätze der Seehunde sind über das gesamte Wattenmeer verbreitet, die Tiere sind aber nicht nur in der Nordsee, sondern auch in der Ostsee anzutreffen. Ihre Zahl hatte sich im Wattenmeer in den letzten Jahren auf über 20.000 Tiere erhöht, bevor im letzten Jahr eine Seuche ihren Bestand drastisch dezimiert hat [http://www.waddensea-secretariat.org/]. Die Kegelrobben in deutschen Gewässern sind nur die östlichsten Vertreter einer großen Nordseepopulation; im Bereich der Deutschen Bucht kommen nur wenige hundert Tiere vor, deren Liegeplätze sich vor allem auf Helgoland und vor Amrum befinden.

Kegelrobbe ©Kevin Robertson CRRU
Schweinswale schließlich sind kleine Zahnwale, die in der gesamten Nordsee verbreitet sind und, mit nach Osten abnehmender Häufigkeit, auch in der Ostsee vorkommen. Die Besonderheit der Schweinswale, wie der Zahnwale überhaupt, ist, dass sie sich mit Hilfe von Geräuschen orientieren und sogar ihre Beutefische jagen. Diese von den Tieren ausgestoßenen Laute liegen im für uns nicht hörbaren Ultraschallbereich und ermöglichen es den Tieren, sich ein akustisches Bild von ihrer Umwelt zu machen und die in ihrer Nähe schwimmenden Fische zu orten und zu fangen. Neben dieser sogenannten „Echolokation“ spielen – auch wenn man sich bei den Schweinswalen nicht sicher ist – die eigenen Geräusche zumindest für die beiden Robbenarten ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Kommunikation untereinander.

Schweinswal © Florian Graner

Und dementsprechend spielt der Schall (in seiner störenden Form von uns als „Lärm“ bezeichnet) auch hinsichtlich der Errichtung sowie des Betriebs der WEAs eine besondere Rolle. Schall war unter Wasser schon immer vorhanden. Schall, also Geräusche werden durch Wind und Wellen, Brandung aber auch durch Erdbeben und Vulkanausbrüche unter Wasser verursacht. So haben sich die im Meer lebenden Tiere vor dem Hintergrund zahlreicher, zum Teil sogar sehr lauter Geräusche entwickelt. Die marinen Lebewesen, Wirbellose (Seesterne, Tintenfische & Co.), Fische und Meeressäugetiere (Robben und Wale) können unterschiedlich gut hören, sie alle haben sich mit ihrem Gehör weitestgehend an die natürlichen Geräusche angepasst und werden durch diese selten gestört oder beeinträchtigt. Anders die menschlichen Geräusche. Diese liegen in ihrer Lautstärke, Tonhöhe (Frequenz) sowie der Art und Dauer ihres Auftretens häufig weit über dem Pegel natürlicher Schallquellen.

Auswirkungen auf die Wale

Das kann bei den Meeresbewohnern zu unterschiedlichen Reaktionen und Beeinträchtigungen führen. So können unbekannte oder störende Geräusche bei den Tieren Stress verursachen, auch wenn sie nur sehr leise wahrzunehmen sind. Stress wiederum kann langfristig beispielsweise zur Schwächung des Immunsystems führen.

Ab einer bestimmten Lautstärke der Geräusche werden die Tiere auch ihr Verhalten ändern, manche werden vielleicht nur kurz innehalten und dann weitermachen, womit sie vorher beschäftigt waren. Andere, vor allem die besonders scheuen Mütter mit ihren Kälbern werden aber schon bei einer geringfügigen Störung ihr jeweiliges Verhalten unterbrechen. Handelt es sich dabei um wichtige Verhaltensweisen wie Ruhen, Fressen oder Sozialverhalten, ist jede Unterbrechung von Bedeutung. Und auch die Anzahl und Dauer dieser Verhaltensänderungen ist wichtig. Werden die Tiere wiederholt oder andauernd vom Fressen, Säugen oder Ruhen abgehalten, so wird das auf Dauer negative Folgen die einzelnen Tiere und die gesamte Population haben. Das Ausmaß der Reaktionen der Tiere nimmt für gewöhnlich mit zunehmender Lautstärke der Geräusche zu. Eine Bewertung der Auswirkungen wird allerdings durch die Tatsache erschwert, dass es sowohl zu einer Gewöhnung als auch zu einer Sensibilisierung der Tiere kommen kann – die Tiere reagieren also möglicherweise nur auf die ersten Geräusche und gewöhnen sich dann an sie, oder sie reagieren immer stärker auf die Geräusche. Sowohl laute Geräusche als auch wiederholte schwache Signale können schließlich dazu führen, dass Tiere in Panik vor der Schallquelle, dem Verursacher des Lärms fliehen. Da es sehr schwer ist, den Tieren zu folgen, ist es besonders schwierig zu beurteilen, wie lange diese Fluchtreaktion, aber auch alle anderen Verhaltensreaktionen andauern. Leichter zu beurteilen ist das Ausmaß der sogenannten „Maskierung“ wichtiger Geräusche: Man stelle sich vor, wie schwierig oder unmöglich es für uns ist, sich neben einer Straßenbaustelle mit Presslufthämmern und Baggern zu verständigen – den gleichen Einschränkungen bei ihrer Verständigung oder der Echolokation unterliegen die marinen Säugetiere (wie auch alle anderen Meeresbewohner, die in der Lage sind, zu hören bzw. sich über akustische Signale miteinander zu verständigen – z.B. Fische !). Ob also Mensch oder Wal, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr – wissenschaftlich nennt man das „akustische Maskierung“.

Ein weiteres Problem, das uns Menschen ebenfalls einigermaßen vertraut ist, sind die Auswirkungen von sehr lauten oder ständig vorhandenen Geräuschen auf das Gehör. Nach einem lauten Knall, dem Besuch eines lauten Konzerts oder einer Disco hört man häufig für wenige Minuten oder sogar Stunden nicht mehr so gut wie vorher. Dieser vorübergehende Effekt ist eine Beeinträchtigung, die durch das Rammen der Pfähle für die WEAs und durch die andauernden Betriebsgeräusche der fertigen Anlagen auch bei den Meeressäugern hervorgerufen werden kann. Anders als wir Menschen können sich vor allem die Schweinswale nicht mit Hilfe ihrer Augen orientieren und ihre Beute finden, denn die Sichtweite unter Wasser liegt in Nord- und Ostsee häufig unter 1m. Die Auswirkungen auf die Tiere können also durchaus bedeutsame Ausmaße annehmen.

MINOS

Die Erforschung dieser Auswirkungen sind Teil der wissenschaftlichen Untersuchungen, die von Wissenschaftlern an mehreren deutschen Forschungseinrichtungen im Verbundprojekt MINOS (Marine Warmblüter in Nord- und Ostsee, www.minos-info.de) durchgeführt werden. Diese Forschung wird vom Bundesumweltministerium finanziert. Eines der insgesamt 7 Teilprojekte beschäftigt sich mit der Erfassung von Bestand und Verbreitung der Schweinswale in der Nord- und Ostsee, ein anderes mit einer neuen Methode, um das Vorkommen der Schweinswale auch langfristig untersuchen zu können und ein drittes mit den möglichen Auswirkungen der Bau- und Betriebsgeräusche auf das Gehör der Tiere.

Bestandsschätzung

Es ist gar nicht so leicht, den Bestand der Schweinswale in den deutschen Gewässern zu bestimmen, denn diese Tiere sind sehr scheu und sie tauchen vor allem immer nur kurz auf, um Luft zu holen. Den Rest der Zeit – über 90% – sind sie untergetaucht und für das menschliche Auge nicht sichtbar. Hinzu kommt, dass auch beim Luftholen normalerweise nur etwa 20cm hohe Rückenflosse der Schweinswale aus dem Wasser ragt. Sobald die Wellen höher werden, kann man die Tiere also kaum noch sehen. Außerdem ist es unmöglich, alle Schweinswale einzeln zu erfassen, da diese sich sehr schnell fortbewegen und jeden Tag weite Strecken zurücklegen können. Um den Bestand der Tiere zumindest annähernd bestimmen zu können, benutzt man die sogenannte „Linientransekterfassung“. Hinter diesem Begriff versteckt sich eine Methode, bei der man mit dem Schiff oder vom Flugzeug aus auf vorher festgelegten, meistens im Abstand von mehreren Kilometern parallel zueinander verlaufenden Bahnen (dem Transekt) das Untersuchungsgebiet abfährt und jeden Schweinswal zählt, den man während der Passage sieht. Da man einige Zeit benötigt, um das gesamte Gebiet zu befahren (befliegen) und man auch nicht die gesamte Fläche abdeckt, müssen die ermittelten Sichtungsdaten nachträglich mit Hilfe komplizierter statistischer Verfahren auf die Gesamtfläche und damit auf den Gesamtbestand hochgerechnet werden. Die resultierende Zahl weist dann einen 95%-Vertrauensbereich auf, der angibt, wie stark die tatsächliche Bestandsgröße um die angegebene Zahl möglicherweise (mit eben der Wahrscheinlichkeit von 95%) schwanken kann. Da es sich bei der Deutschen Bucht und der dem deutschen Bereich der Ostsee um sehr große Bereiche handelt, wurde zur Untersuchung die Erfassung vom Flugzeug aus gewählt. Wissenschaftler des Forschungs- und Technologiezentrums Westküste in Büsum starten bei gutem Wetter, um von einem mit speziellen Blasenfenstern ausgestatteten Flugzeug aus die Erfassungen vorzunehmen. Was so einfach klingt, wie vielleicht im Vorbeifahren die Schilder auf der Autobahn zu lesen, erfordert tatsächlich eine intensive Schulung der Beobachter („Observer“) an Bord, da das Flugzeug mit einer Geschwindigkeit von 180km/h in einer Höhe von 170m über die Wasseroberfläche fliegt, die keineswegs eine glatte Oberfläche ist. Darüber hinaus müssen die Observer sich über einen Zeitraum von bis zu 6 Stunden jede Sekunde auf die eintönige Meeresoberfläche konzentrieren. Die resultierenden Karten geben Aufschluss über das Auftreten der Tiere zu dem Zeitpunkt der Erfassung, ähnlich einem Schnappschuss. Um sich aber ein Bild über die langfristige Nutzung der Gebiete durch die Tiere zu machen, müssen die Erfassungsflüge regelmäßig wiederholt und die Ergebnisse miteinander verglichen werden.

Akustische Anwesenheitskontrolle

T-POD © Nick Tregenza

Um herauszufinden, wie intensiv (wie oft und wie lange) bestimmte Bereiche von den Schweinswalen genutzt werden, wird in einem weiteren Teilprojekt eine neue Methode zur Erfassung der Tiere eingesetzt und getestet. Mit Hilfe von Klickdetektoren (T-PODs) ist man in der Lage, die Anwesenheit des Schweinswale anhand ihrer Echolokationssignale festzustellen. Diese akustischen Signale werden von dem T-POD registriert. Die Geräte werden an einer Stelle im Meer fest ausgebracht und können dann dort über einen langen Zeitraum kontinuierlich das umliegende Gebiet – ähnlich einem „akustischen“ Bewegungsmelder – auf die Präsenz von Schweinswalen hin überprüfen. Die aufgezeichneten Daten geben Aufschluss darüber, wann und für wie lange sich Schweinswale in der Umgebung des Gerätes aufgehalten haben. So kann mit dieser Methode das Problem der Momentaufnahme, das bei der Flugerfassung besteht, gelöst werden; Nachteil der Methode ist allerdings die mit ungefähr 300 m relativ geringe Erfassungsreichweite der T-PODs sowie die Tatsache, dass man nur zwischen der Gegenwart eines und mehrerer Tiere unterscheiden kann – wie viele Tiere sich aber genau in der Nähe des T-PODs aufgehalten haben, kann man nicht herausfinden. Um dennoch zu quantitativen Aussagen über die Schweinswaldichte im Untersuchungsgebiet zu kommen und um diese neue Methode auf ihre Anwendbarkeit hin zu überprüfen, werden in dem Teilprojekt alle möglichen Erfassungsmethoden gleichzeitig angewandt und die Zählergebnisse miteinander verglichen. Zu dieser „Interkalibrierung“ der Methoden werden neben der visuellen Erfassung vom Flugzeug aus die Erfassungen vom Schiff aus sowie der Einsatz von T-PODs im Schlepptau der Schiffe eingesetzt. Da jede der Methoden ihre Vor- und Nachteile hat, wird letztendlich vermutlich eine Kombination der Methoden die genauesten Ergebnisse liefern. Häufig ist aber die Wahl der Erfassungsmethode von der Fragestellung abhängig – ob man nun wissen möchte, wie viele Tiere in einem großen Gebiet leben oder aber, ob und wie intensiv kleine Bereiche von den Tieren genutzt werden.

Sabotage ?

Ein Hauptproblem bei der stationären Ausbringung der T-PODs ist, dass ein Großteil der Geräte verloren geht; dabei gibt es klare Hinweise darauf, dass dies nicht zufällig bzw. durch natürliche Ursachen wie starke Stürme passiert, sondern vorsätzlich erfolgt (so wurden durchgeschnittene oder sauber aufgetakelte Halterungen gefunden). Aber trotz dieser Probleme zeigt sich, dass der Einsatz der T-PODs eine neue und wertvolle Erfassungsmethode darstellt, die es Wissenschaftlern wie auch anderen privaten Anwendern (biologische Gutachterbüros) ermöglicht, Aussagen über die Bedeutung ausgesuchter Bereiche zu treffen.

[Illustration – Stefan Ludwig?]: Sowohl zur stationären Ausbringung der T-PODs als auch zum Einsatz mussten dazu spezielle Vorrichtungen entwickelt werden. Diese halten die Geräte immer in einer optimalen Lage, um ringsherum die Geräusche der Schweinswale registrieren zu können.

Hörtests

Eine weitere grundlegende Frage, die sich beim Bau und Betrieb der WEAs ergibt betrifft die dabei entstehende Lärmbelastung. Wie weit sind diese Geräusche für die Tiere hörbar und ab welcher Lautstärke werden die Geräusche für die Tiere schädlich?

In einem anderen Teilprojekt von MINOS wird daher das Gehör Seehunde und Schweinswale untersucht. Wie gut können die Tiere hören und ab wann wird ihr Gehör durch den Lärm geschädigt?

Um das zu untersuchen, kann man entweder Seehunde und Schweinswale in einem Verhaltensexperiment darauf trainieren, mit einer antrainierten Reaktion anzuzeigen, ob sie ein bestimmtes Geräusch gehört haben oder nicht. Diese Vorgehensweise ähnelt einem Hörtest, den wir beim Ohrenarzt machen können – man zeigt, meistens durch einen Knopfdruck an, dass man den Ton gehört hat. Leider ist es ungleich aufwändiger, dies einem Seehund oder Schweinswal beizubringen.

Da das Projekt MINOS aber unter einem starken Zeitdruck durchgeführt wird, wurde eine andere Methode zur Gehöruntersuchung gewählt. Dabei handelt es sich wiederum um eine Methode, die auch in der Humanmedizin angewandt wird, der Ableitung von Hirnstammpotenzialen. Bei Kleinkindern, oder Patienten, die nicht in der Lage sind, aktiv an einem Hörtest teilzunehmen, bedient man sich der Tatsache, dass unser Ohr bei jedem Ton, den wir hören, dem Gehirn die Wahrnehmung des Signals, seine Lautstärke, Tonhöhe usw. über Nervensignale mitteilt. Diese Nervensignale kann man mit hochempfindlichen Messgeräten noch auf der Hautoberfläche nachweisen. Dazu muss der Patient, Mensch oder Tier, lediglich bewegungslos liegen bleiben und sich die Geräusche über einen Kopfhörer (unter Wasser über ein Hydrofon) vorspielen lassen.

Mit abnehmender Lautstärke der Geräusche wird auch das Nervensignal immer kleiner und so kann man schließlich die Hörschwelle ermitteln – die Lautstärke, die erforderlich ist, damit ein Patient einen bestimmten Ton oder ein Geräusch noch hören kann. Diese Hörschwelle ist von Mensch zu Mensch teilweise sehr unterschiedlich und verändert sich vor allem mit zunehmendem Alter immer mehr zur Schwerhörigkeit hin. Diese Schwerhörigkeit ist bei uns Menschen einerseits eine natürliche Erscheinung, kann aber durch die starke Beanspruchung des Gehörs im Laufe des Lebens deutlich verfrüht und/oder verstärkt auftreten. Gleiches gilt vermutlich auch für die marinen Säugetiere.

Jeder, der außerdem einmal auf einem lauten Rockkonzert oder sich in der Nähe lauter Maschinen bzw. starker Geräuschquellen aufgehalten hat, wird vielleicht festgestellt haben, dass man danach erst einmal für kurze Zeit schlechter hören kann. Dieser Effekt ist tatsächlich meistens nur von kurzer Dauer. Diese zeitweilige Hörschwellenverschiebung wird als TTS bezeichnet (aus dem Englischen: Temporary Threshold Shift). Es handelt sich dabei um eine zeitweilige Schwerhörigkeit, die um so ausgeprägter ist und länger andauert, je größer der Lärm war. Ab einem bestimmten Lärmpegel erholt sich das Gehör schließlich nicht mehr vollständig – man bleibt schwerhörig. Man spricht dann von einer permanenten Schwerhörigkeit oder PTS (Permanent Threshold Shift). Diese Schädigung kann auf einen geringen Frequenzbereich beschränkt: so ist bei Soldaten häufig nur im Frequenzbereich des Schussgeräusches ein solcher Hörschaden festzustellen. In ganz extremen Fällen kann der Effekt aber nicht nur den Frequenzbereich (die Tonhöhe) betreffen, in dem die Geräusche lagen, sondern sich auch auf darüber- und darunterliegende Frequenzbereiche im Innenohr erstrecken. Man hört dann alle Tonlagen schlechter.

Auch leise Geräusche können TTS oder sogar PTS verursachen, wenn man diesen Geräuschen über einen langen Zeitraum ausgesetzt ist oder die Geräusche sehr oft hintereinander wiederholt auftreten.

Hinsichtlich der Windräder auf hoher See ergibt sich folgendes Szenario: einerseits werden die Fundamente der Windenergieanlagen – Stahlrohre mit einem Durchmesser von mehreren Metern – bis zu 30 m tief in den Meeresboden gerammt, andererseits erzeugen die Windräder im Betrieb ständig Geräusche. Die Rammstöße sind unter Wasser so laut (>220 dB re 1(Pa), dass mit einer schweren Beeinträchtigung oder Schädigung des Gehörs bei den Tieren zu rechnen ist, falls diese sich in der Nähe der Baustelle aufhalten sollten. Vor allem für die Schweinswale wäre es verhängnisvoll, wenn ihr Gehör geschädigt ist, da sie sich mit Hilfe von Schall unter Wasser orientieren und ihre Beute finden. Sowohl Seehunde als (vermutlich) auch Schweinswale sind darüber hinaus auf ihr Gehör angewiesen, um sich mit ihren Artgenossen und vor allem ihrem Nachwuchs zu verständigen. Die Rammgeräusche sind darüber hinaus voraussichtlich über eine Entfernung von mehreren 10 km von den Tieren wahrnehmbar. Vermutlich ist über eine ähnlich große Entfernung mit einer Fluchtreaktion der Tiere zu rechnen. Es ist aber nicht vorhersagbar, ob diese Vermeidungsreaktion bei allen Tieren zu beobachten sein wird, oder ob (vor allem Seehunde) nicht sogar von den Geräuschen angezogen werden. Von einigen Fischarten weiß man, dass sie durch derartige Geräusche angelockt werden. Sollte für die marine Säugetiere also ein „reichlich gedeckter Tisch“ im Baugebiet zu finden sein, so könnte dies Seehunde und vielleicht auch Schweinswale ihre Scheu verlieren lassen. Sie würden sich dadurch allerdings den Bau- oder Betriebsgeräuschen mit den genannten Folgen für ihr Gehör aussetzen. Aufbauend auf den Ergebnissen der akustischen Untersuchungen an den Seehunden und Schweinswalen sollen letztendlich Grenzwerte für die akustische Belastung der Tiere in Nord- und Ostsee abgeleitet werden können.

Die Betriebsgeräusche sind zwar deutlich leiser, werden dafür aber kontinuierlich zu hören sein (außer natürlich bei stillstehenden Rotoren). Es ist noch vollkommen unklar, ob die Tiere sich an die Windkraftanlagen und ihre Betriebsgeräusche gewöhnen oder ob die Bereiche um die Anlagen von ihnen gemieden werden. Letzteres wäre vermutlich gut für ihr Gehör. Allerdings muss man sich dann schon im Vorfeld sehr intensiv darüber Gedanken machen, ob die Tiere dann nicht nur kurzfristig, sondern auf Dauer einen wichtigen Lebensraum verlieren, oder durch eine als Barriere wirkende Reihe von Anlagen auf ihren Wanderungsrouten von solchen Lebensräumen abgetrennt werden.

Es ist zu hoffen, dass sich die Tiere an die Geräusche der Anlagen gewöhnen, wenn diese erst einmal stehen. Da in dem Bereich der Windparks nicht kommerziell gefischt werden darf, könnten sich die Windparks zu gut gefüllten Speisekammern für die marinen Säuger entwickeln. Dies wäre, vorausgesetzt, sie bleiben nicht zu lange dort, ein wirklicher Gewinn für die Tiere.

 

Empfohlene Literatur

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Empfohlene Internetadressen

Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie:
Windparks
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Forschungs- und Technologiezentrum Westküste
http://www.uni-kiel.de/ftzwest/

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http://www.minos-info.de
[Accessed 28 Sept 2003]

Tregenza, Nick ():
Porpoise and Dolphin Sonar Detector, a new research tool.
http://www.chelonia.demon.co.uk/PODhome.html
[Accessed 28 Sept 2003]

 

Herzlichen Dank

– an Dr. Florian Graner für die Abbildung des Schweinswals.
Florian Graner filmt und fotografiert für das Fernsehen und die Presse. Mehr Informationen finden Sie auf der Internetseite seiner Firma Sealife Productions.

– an Dr. Kevin Robinson von der Cetacean Research & Rescue Unit (CRRU) in Schottland für die Abbildung der Kegelrobbe.

– an die National Oceanic & Atmospheric Adminstration (NOAA) für die Seehund-Abbildung.