Wissenschaftler schlagen Alarm: Zu viele Ostsee-Schweinswale verenden in Fischernetzen

von Jeppe Kyhne Knudsen | Aarhus University | Aarhus | 19. März 2024

Um die Population der Schweinswale in den dänischen Küstengewässern stabil zu halten, dürften jährlich nur 24 Tiere in Fischernetzen verenden. Es sterben jedoch über 900 Tiere alleine durch dänische und schwedische Stellnetzfischerei in diesem Zeitraum. Der Einfluss der kommerziellen deutschen Fischerei und durch Hobbyfischerei ist dabei unbekannt. Noch 2016 wurden über 40.000 Tiere gezählt, in 2022 waren es nur noch 14.000. Forscherinnen und Forscher aus Dänemark, Deutschland und Schweden schlagen nun Alarm.

In einem kürzlich veröffentlichten Fachartikel in Frontiers in Marine Science weisen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Kylie Owen (SMNH Stockholm) und Anita Gilles (TiHo Hannover) auf die Bedrohungen hin, denen Schweinswale in den dänischen Küstengewässern und im westlichen Teil der Ostsee ausgesetzt sind. Die Schweinswale in diesem Gebiet werden als Beltsee-Population bezeichnet. Der Bestandsrückgang in dieser Population ist alarmierend. In den Jahren 2012 und 2016 gab es noch etwa 40.000 Tiere, 2022 waren es nur noch 14.000. 

JahrBestandsschätzungVarianzUntersuchung
1994 51.660(29.058-91841, CV 0,30)SCANS
200527.901(13.387-58.149, CV 0,39)SCANS II
201240.475(25.614-65.041, CV 0,24)Mini-SCANS
201642.324(23.368-76.658, CV 0,30)SCANS III
202017.301(11.695-25.688, CV 0,20)Mini-SCANS II
202214.403(9.555-21.769, CV 0,21)SCANS IV
Bestandsschätzungen für die Schweinswale der Beltsee zwischen 1994 und 2022 im Rahmen verschiedener SCANS (Small Cetacean Abundance in the North Sea and adjacent waters)-Untersuchungen. Die Untersuchung im Jahr 1994 hatte das südliche Verbreitungsgebiet der Beltsee-Schweinswale noch nicht berücksichtigt und wird in der vorgestellten Arbeit deshalb ausgeschlossen.

Vor allem die Fischerei gefährdet die Ostsee-Schweinswale

„Und es wird nicht besser“, erklärt Signe Sveegaard, Senior Advisor und Leiterin der Abteilung für Meeressäugerforschung am Department of Ecoscience der Universität Aarhus. Sie ist auch eine der Forscherinnen, die hinter den neuen Ergebnissen stehen. 

„Die Population schrumpft jährlich um 2,7 Prozent. Dabei tragen mehrere Faktoren zu diesem Rückgang bei. Der Beifang durch die Netzfischerei, in dem sich die Schweinswale verfangen und ertrinken, ist ein großes Problem. Außerdem spielen Sauerstoffzehrung, Verschmutzung und Nahrungsmangel eine Rolle“, sagt sie und fährt fort:

„Eine Verbesserung der verschmutzten Meeresumwelt und des Fischangebots wird viele Jahre dauern. Eine sofortige Lösung bestünde jedoch darin, die Verwendung von Netzen in der kommerziellen Fischerei einzuschränken oder die Verwendung von akustischen Alarmen an allen Netzen vorzuschreiben.“

Zählung von Schweinswalen aus der Luft

Beltsee. Kerngebiet der SCANS Bestandsschätzungen zwischen 1994 und 2022.

Seit 2005 führen die Forscher kontinuierliche Zählungen von Schweinswalen durch. Sie unterteilen den Ozean in kleinere Segmente und überfliegen diese Gebiete systematisch, um nach Schweinswalen an der Wasseroberfläche zu suchen.

„Wir zählen alle Schweinswale, die wir im Meer ausmachen können. Aus anderen Studien wissen wir, dass sich Schweinswale etwa 10 Prozent der Zeit an der Oberfläche aufhalten. Indem wir die Anzahl der gesichteten Schweinswale in einem Gebiet multiplizieren und die multiplizierten Zahlen für alle untersuchten Gebiete addieren, schätzen wir die gesamte Population“, sagt Signe Sveegaard und fährt fort:

„Es ist die beste Methode, um Schweinswale zu zählen, aber die Methode ist immer noch mit Unsicherheiten behaftet. Davon abgesehen haben wir aber vergleichbare Daten von 2005 bis heute, so dass wir einen Trend berechnen können. Und der ist ganz klar: Der Schweinswalbestand geht zurück.“

Tatsächlich ging es den Schweinswalen in den Jahren 2011 bis 2016 besser. In diesen Jahren wuchs die Population, aber nach 2016 wurde der Trend gebrochen. Jetzt beobachten die Forscher weniger Schweinswale als im Jahr 2005, als sie mit der Zählung begannen. 

Schweinswale in der Beltsee

Heute leben etwa 14.000 Schweinswale in der Beltsee. Die Beltsee ist ein Küstengebiet, das sich Dänemark, Schweden und Deutschland teilen. 

Die Schweinswale in diesem Gebiet werden als eine Population betrachtet, auch wenn einige von ihnen Hunderte von Meilen voneinander entfernt leben. Sie unterscheiden sich genetisch von den Populationen in der Nordsee und zentralen Ostsee.

Schweinswale wandern, um Nahrung zu finden. Das bedeutet, dass die Schweinswale nicht gleichmäßig in der Beltsee verteilt sind, sondern sich in Gebieten mit hohem Nahrungsangebot zusammenrotten. Man findet sie hauptsächlich im Fehmarnbelt, im nördlichen Teil des Öresunds, im Großen Belt, im Kleinen Belt und im Kattegat entlang der schwedischen Westküste.

Forscher sind besorgt über die Fischereiindustrie

Obwohl die Fischereiindustrie nicht der einzige Faktor ist, der sich auf die Schweinswale auswirkt, konzentrieren sich die Forscher besonders auf die Bedrohung, die von der kommerziellen Fischerei ausgeht.

„Wir erwähnen die Fischereiindustrie und den Beifang ausdrücklich, weil dies die einzige Möglichkeit ist, hier und jetzt etwas zu ändern. Wenn die Politiker beschließen, die Netzfischerei einzuschränken, wird dies den Beifang an Schweinswalen schnell reduzieren und der Population Zeit geben, sich zu erholen“, sagt Signe Sveegaard.

Die politische Debatte über die kommerzielle Fischerei beunruhigt sie, weil der Schwerpunkt auf der Begrenzung des Einsatzes von Grundschleppnetzen liegt.   

„Derzeit wird darüber diskutiert, ob der Einsatz von Grundschleppnetzen eingeschränkt werden sollte. Studien zeigen eindeutig, dass Grundschleppnetze sehr schädlich für die Ökosysteme im Meer sind und dadurch die Verfügbarkeit von Nahrung für Schweinswale beeinträchtigen.“

„Ich habe jedoch Bedenken, die Verwendung von Grundschleppnetzen einzuschränken. Denn das Resultat könnte sein, dass die Fischereiindustrie stattdessen mehr andere Netze einsetzen wird. Wenn das geschieht, wird es wahrscheinlich zu noch mehr Beifang von Schweinswalen kommen.“

Tot angespülter Schweinswal an dänischem Strand, Teile des Fischernetzes, in dem er wahrscheinlich umgekommen ist, sind noch um die Fluke verwickelt. Foto: Lisbeth Cedray

Besonders junge Schweinswale verenden in Fischernetzen

Während sich die Populationen von Hering und Kabeljau, die Millionen von Eiern legen, schnell wieder erholen können, bekommen Schweinswale nur ein Kalb pro Jahr. Das bedeutet, dass es viele Jahre dauern würde, bis eine Schweinswalpopulation wächst und sich wieder stabilisiert, erklärt Signe Sveegaard.

Im Moment steht die Schweinswalpopulation unter Druck, weil sich insbesondere die Kälber in den Netzen der Fischereifahrzeuge verfangen.   

Schweinswale sind mit etwa vier Jahren geschlechtsreif, aber sie verlassen ihre Mutter schon nach einem Jahr. Drei Jahre lang schwimmen sie alleine durch das Meer, ohne sich fortpflanzen zu können. Sie sind unerfahren und geraten viel eher in die Netze als erwachsene Schweinswale.

– Das ist ein großes Problem, denn die neuen Generationen überleben nicht lange genug, um Nachwuchs zu bekommen. Mit der Zeit könnte dies zum Zusammenbruch der gesamten Population führen. 

„Wenn die Schweinswale in der Beltsee verschwinden, kommen sie vielleicht nie wieder zurück. Deshalb müssen wir jetzt etwas tun, um die Population zu schützen und zu stabilisieren.“

Signe Sveegaard, Senior Advisor und Leiterin der Abteilung für Meeressäugerforschung am Department of Ecoscience der Universität Aarhus.

Schweinswalen in der Nordsee geht es besser

Während die Schweinswale in der Beltsee rückläufig sind, sieht es bei den Schweinswalen in der Nordsee anders aus. Hier ist die Population seit vielen Jahren stabil. Von 1994 bis 2022 lag der Bestand zwischen 300.000 und 400.000 Tieren.

„Den Schweinswalen in der Nordsee geht es besser. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie mehr Platz haben, um sich zu bewegen und den Fischschwärmen zu folgen. Und die Bestandszentren haben sich verändert. Als wir anfingen, sie zu zählen, lebten sie hauptsächlich im nördlichen Teil der Nordsee. Heute sind viele von ihnen südlich an der Doggerbank vorbei in Richtung Ärmelkanal gezogen“, sagt Signe Sveegaard.

In der Beltsee können sich die Schweinswale nicht auf dieselbe Weise bewegen wie ihre Verwandten in der Nordsee. Das Gebiet ist viel kleiner, und außerdem sind sie darauf spezialisiert, in flachen Gewässern Fische zu jagen.

Unterschiedliche Schweinswalpopulationen

Einige Messpunkte für Schädelformbestimmung bei Schweinswalen nach Galatius et al. 2012. Schädelabbildung: van Beneden & Gervais 1880
Craniometrischer Vergleich von Schweinswalen der Beltsee (blau) mit Nordseewalen (rot) nach Galatius et al. 2012

Aus Studien der Schädel von Schweinswalen wissen wir, dass sich die Populationen stark voneinander unterscheiden. Die Population in der Beltsee hat einen nach unten gerichteten Schnabel, während die Schnäbel in der Nordsee eher horizontal sind. 

Das ist wahrscheinlich dadurch begründet, dass die Schweinswale in der Nordsee darauf spezialisiert sind, Fische direkt aus der Wassersäule zu fangen. In der Beltsee haben sich die Schweinswale dagegen auf den Fang von am Meeresboden lebenden Fischen spezialisiert.

Da sich die Schweinswale in der Nordsee an eine andere Umgebung angepasst haben, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich in der Beltsee wieder ansiedeln können, wenn die Population hier verschwindet. Deshalb ist es äußerst wichtig, die Schweinswale dort zu schützen, wo sie leben“, erklärt sie. 

„Wenn die Schweinswale in der Beltsee verschwinden, kommen sie vielleicht nie wieder zurück. Deshalb müssen wir jetzt etwas tun, um die Population zu schützen und zu stabilisieren.“

Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Aarhus.

Besprochene Fachpublikation:

OWEN, K., A. GILLES, M. AUTHIER, J. CARLSTRÖM, M. GENU, L. A. KYHN, D. A. NACHTSHEIM, N. C. RAMÍREZ-MARTÍNEZ, U. SIEBERT, M. SKÖLD, J. TEILMANN, B. UNGER und S. SVEEGAARD (2024):
A negative trend in abundance and an exceeded mortality limit call for conservation action for the Vulnerable Belt Sea harbour porpoise population.
Frontiers in Marine Science 11:0.
DOI: 10.3389/fmars.2024.1289808

Weitere Fachliteratur zum Thema

AMANO, M. und N. MIYAZAKI (1992):
Geographic variation in skulls of the Harbour Porpoises (Phocoena phocoena).
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BÖRJESSON, P. und P. BERGGREN (1997):
Morphometric comparisons of skulls of harbour porpoises (Phocoena phocoena) from the Baltic, Kattegat, and Skagerrak seas.
Canadian Journal of Zoology 75(2): 280-287.

GALATIUS, A., C. C. KINZE und J. TEILMANN (2012):
Population structure of harbour porpoises in the Baltic region: evidence of separation based on geometric morphometric comparisons.
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Geographical variation in harbour porpoise (Phocoena phocoena) skulls: Support for a separate non-migratory population in the Baltic proper.
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Coming of age: – Do female harbour porpoises (Phocoena phocoena) from the North Sea and Baltic Sea have sufficient time to reproduce in a human influenced environment.
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