Yakari… und der weiße Wal

von Johannes Albers | | | 19. August 2013

Buchbesprechung von Johannes Albers

Derib und Job (2011): Yakari... und der weiße Wal
Titelbild: © Derib + Job – Le Lombard (Dargaud-Lombard S.A.) 2014

Derib und Job (2011):
Yakari… und der weiße Wal
(= Yakari-Comic-Album Band 7). Egmont Ehapa Verlag GmbH, Berlin 2011. (Originaltitel: Yakari 21: Le Souffleur de nuages. 1995.) Format: 28,5 x 21,5 cm. Farbzeichnungen.
Softcover, 48 Seiten. Deutschland: € 4,99. Österreich: € 5,00. Benelux: € 5,75. Schweiz: sFr 10.00.
Mittlerweile erscheint Yakari nicht mehr bei Ehapa, sondern als Hardcover bei Salleck Publications mit der ISBN 978-3-89908-310-1 zum Preis von € 12,-

„Yakari, der kleine Indianerjunge, ist der Freund aller Tiere – er kann sogar mit ihnen sprechen.“ Diese Worte aus dem Klappentext charakterisieren die hübschen Comic-Geschichten über Yakari, die Kindern von 6 – 8 Jahren auch Kenntnisse über die Natur vermitteln wollen. Im regenreichen Sommer 2011 erschien bei Ehapa eine deutsche Neuausgabe jenes Bandes, in dem ein Weißwal nach regenbedingtem Hochwasser in einem Tümpel fern des Meeres gefangen ist – und dank Yakari befreit wird.

Kinder kennen die Abenteuer des Indianerjungen auch aus dem TV. Diese Rezension aber richtet sich mehr an die Eltern, die gut daran tun werden, die Yakari-Lektüre ihrer Kinder behutsam zu begleiten.

Ursprünglich erschienen die Yakari-Geschichten ab 1970 in französischer Sprache. Der Schweizer Zeichner Claude de Ribeaupierre kürzt seinen Namen mit Derib ab, Texter André Jobin den seinen mit Job. Der Weißwal-Band (original 1995) erschien auf Deutsch bereits 1996 im Carlsen-Verlag. Aktuell gibt es Yakari in zwei verschiedenen deutschen Ausgaben: Unter den Hardcover-Alben (€ 12) im Verlag des Yakari-Übersetzers Eckart Schott wird der Weißwal-Band derzeit noch nicht angeboten. Die Schott-Übersetzung findet man aber in der Softcover-Reihe des Egmont Ehapa Verlags. Dort wurde der Wal-Band von seiner ursprünglichen Reihenummer 21 auf die Nummer 7 vorgezogen.

Dabei erklärt der Klappentext: „Nach einer langen Regenzeit, die das Stammesgebiet überflutet hat, trifft Yakari auf einen weißen Wal, der in einem Teich festsitzt und dringend Hilfe braucht.“ Auch in Wirklichkeit schwimmen Weißwale manchmal weit in Flüsse hinein, wie der Comic-Wal es getan hat. Ebenso passt der Schauplatz Nordamerika, wenn es auch märchenhaft übertrieben erscheint, dass der Comic-Wal bis zu den Prärie-Indianern gelangt. Dort sind dem kleinen Yakari Wale völlig fremd. Die Mutmaßung einer Textanmerkung S. 28, der Wal sei wahrscheinlich durch den Sankt-Lorenz-Strom in das Binnenland gelangt, wirkt nicht sehr überzeugend, zumal der Wal in der Schilderung seiner Reise aus der Arktis nicht einmal seine Artgenossen erwähnt, die im Sankt-Lorenz-Strom ansässig sind.

Für reale Flussvorstöße von Weißwalen (Belugas) führt die genannte Anmerkung ein berühmtes, aber leider etwas unpassendes Beispiel an: „1966 schwamm ein Beluga 400 km den verschmutzten Rhein hinauf und blieb einen ganzen Monat dort, bevor er wieder in arktische Gewässer zurückkehrte“.

Was ist daran unpassend? Wie der damalige Duisburger Zoodirektor Wolfgang Gewalt (1928 – 2007) berichtet, war jenes Tier nicht mit eigener Kraft aus der Arktis in den Rhein gelangt, sondern im Sturm nahe Großbritannien von Bord eines Schiffes gespült worden. Das hatte den Wal als Fracht für ein englisches Ozeanarium geladen. Ob er je wieder arktische Gefilde erreichte, ist unbekannt: Seine Spur verlor sich, als er den Rhein verließ und wieder in die Nordsee hinausschwamm.

Die Signaturen der Yakari-Zeichnungen verraten, dass die Bildergeschichte um den Wal zwischen dem 8. Juni 1994 und dem 12. Mai 1995 entstanden ist. Zusammen mit inhaltlichen Elementen deutet das auf Anregung durch einen Zeitschriftenartikel im amerikanischen National Geographic Magazine hin: 1994 erschien dort im Juni-Heft ein Beluga-Beitrag des berühmten Walforschers Kenneth S. Norris (1924 – 1998) mit Fotos des ebenso berühmten Walfotografen Flip Nicklin. Die Bedeutsamkeit dieses Artikels zeigt sich darin, dass eine veränderte Fassung im Dezember 1994 auch im deutschen GEO-Magazin erschien. Norris und Nicklin waren die Inspiration für Derib und Job.

Im Comic erzählt der Wal dem Indianerjungen von seinem Leben im Nordpolarmeer und stellt dabei auch andere Tiere der Arktis vor. Obwohl die Tiere verschiedener Arten im Comic miteinander sprechen können, muss der Weißwal S. 27 bekennen: „Beim Narwal weiß ich noch immer nicht, wozu dieser lange Zahn dient, der aus seiner Nasenspitze wächst…“ Natürlich spiegelt sich in dieser Aussage die Unsicherheit der menschlichen Wissenschaft, die bis in unsere Tage hinein immer neue Hypothesen über die Funktion(en) des Narwal-Zahns entwickelt.

Der Comic-Weißwal trägt auf seinem Rücken Narben, die von einem Eisbär-Angriff herrühren. Solche Attacken sind real. Die Spuren der Bärenkrallen sind im Comic aber oft so unregelmäßig und breit gestreut gezeichnet, dass die Bilder eher an rissige Haut infolge einer Austrocknung denken lassen. Bei der Zeichnung des Rückens selbst wäre eine leichte Leistenbildung willkommen gewesen, stattdessen ist der Rückenumfang wurstrund gezeichnet.

Die Bildergeschichte lehrt ihre Leser, dass Wale mit Lungen atmen, aber nicht dauerhaft an Land überleben können. Freilich sollte man den Begriff „Spritzloch“ besser den Haien und Rochen vorbehalten und beim Wal von „Blasloch“ sprechen. Definitiv falsch ist eine Fußnote auf S. 24: „Die vorgewölbte Verdickung am Kopf des Beluga (die ‚Melone’) beherbergt das Hörzentrum dieses Wals.“ Zwar wird der Melone in der Tat eine akustische Funktion zugeschrieben, doch geht es dabei nicht um das Hören, also den Schallempfang, sondern um die Schallaussendung. Der zitierte Satz ähnelt daher der Behauptung, der Mensch höre mit Hilfe seiner Zunge. Hier wird deutlich, warum Kinder bei ihrer Yakari-Lektüre durch sachkundige Menschen begleitet werden sollten.

In seinem Verhalten springt der Comic-Wal in delfinhafter Weise hoch durch die Luft (nämlich über schwimmende Elche hinweg). Das hat mit dem realen Verhalten von Weißwalen nichts mehr zu tun. Für Kinder dürfte es schwer sein, immer richtig zwischen naturkundlicher Aufklärung und märchenhafter Verklärung in dem Heft zu unterscheiden.

Doch auch Erwachsene müssen wachsam sein, wenn sie im Klappentext über den Wal lesen: „Kann Yakari ihm mit der Hilfe von seinen Freunden in den großen und tiefen Fluss zurückhelfen und so retten?“ Ihm…retten: Das ist ein Verstoß gegen die Regeln der deutschen Grammatik. Man fragt sich, ob die Korrekturleser Jochen Bergmann und Tilman Tschacher diese Stelle je geprüft haben. Unter solchen Umständen darf man sich schon Sorgen um die Entwicklung deutscher Sprachkompetenz bei Kindern machen. Doch zum Glück ist dieser Schnitzer in dem Weißwal-Band nur ein Einzelfall.

Wer aber sind die erwähnten Freunde Yakaris und was unternehmen sie? Es sind Biber, die Dämme bauen und so das Wasser des nahen Flusses zeitweise in den Teich mit dem Wal umleiten. Der Wal gelangt wieder in den Fluss zurück und kann seine lange Heimreise antreten. Ein kindgerechtes Happy End.

Präfigurativ und zugleich komplementär zu dieser Handlungsebene steht die Traumebene: Yakari träumt vor seiner Begegnung mit dem Wal, dass eine Wolke ihn mitsamt seinem Tipi aus der sintflutartigen Überschwemmung der Gegend heraushebt und gen Himmel trägt. (Wo der Wal einem Zuwenig an Wasser gegenübersteht, erlebt der Mensch ein Zuviel davon.) In der nächsten Nacht macht sich erstmals der Wal bemerkbar. Er stößt Blaswolken aus, daher der französische Originaltitel des Bandes: „Le Souffleur de nuages“ (Der Wolkenbläser). Versteht man die Wolke des Traums als Symbol für den Wal, dann hat im Traum der Wal den Yakari gerettet. In der Summe beider Ebenen ergibt sich das Ideal des gegenseitigen Helfens.

Der Wal lässt Yakari und sein Reittier (ein Pony) auf sich reiten und erweist sich damit als Super-Reittier. Kunststücke, wie sie Walen in Ozeanarien andressiert werden (siehe Titelbild), fallen im Comic dem Tier ganz von selbst ein. Delfinariengegner werden nicht amüsiert sein. Sie können sich aber dadurch bestätigt sehen, dass der Wal nicht den Rest seines Lebens in dem Teich verbringen will.

Wale erscheinen in dem Comic als neugierig, wanderlustig, stimmfreudig und menschenfreundlich. Alles in allem sehen wir eine nette Geschichte, die einen Erziehungswert und unter den genannten Bedingungen und Beschränkungen auch einen brauchbaren Bildungswert für Kinder hat.

Literatur:

Wolfgang Gewalt (1986): Auf den Spuren der Wale. Expeditionen von Alaska bis Kap Hoorn. ECON-Verlag, Düsseldorf und Wien.

Kenneth S. Norris und Flip Nicklin (1994 a): Beluga: White Whale of the North. – National Geographic Magazine 185/ 6 (Juni 1994): 2 – 31.

Kenneth S. Norris und Flip Nicklin (1994 b): Weißwale. Die Sänger im Eismeer. – GEO-Magazin 12/ 1994 (Dezember 1994): 74 – 94.

WERTH, A. J. UND THOMAS J. FORD, JR. (2012):
Abdominal fat pads act as control surfaces in lieu of dorsal fins in the beluga (Delphinapterus).
Marine Mammal Science 28: E516-E527.

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Herzlichen Dank an den Egmont Ehapa Verlag GmbH für die Erlaubnis das Titelbild zeigen zu können.
Mehr über Yakari in französischer Sprache erfahren Sie auf derYakari-Homepage. Die deutschen Hardcover Ausgaben finden Sie beiSalleck Publications, die Softcover-Ausgaben bei Ehapa.