„Zwergwale sind die Kakerlaken der Meere“. Mit diesem markanten Ausspruch beschreiben die Walfang-Lobbyisten ihre Einschätzung von der ökologischen Rolle der Zwergwale. Ein wesentlicher Pfeiler der Argumentation für den antarktischen Walfang ist die Annahme, dass sich die antarktischen Zwergwale auf Kosten der Großwale stark vermehren konnten, die durch den industriellen Walfang des 20 Jahrhunderts fast vernichtet worden waren. Heute sollen die Zwergwale nach dieser Theorie die Zunahme anderer, noch immer bedrohter Großwalarten verhindern. Nun haben Genetiker nachgewiesen, dass die antarktischen Zwergwale sich gar nicht vermehrt haben.
Die antarktischen Zwergwale (Balaenoptera bonaérensis) gehören zu den wenigen Bartenwalen, die während des industriellen Walfangs im 20. Jahrhundert nicht dezimiert wurden. Einige Wissenschaftler vertreten die These, dass die hohe Zahl der Zwergwale die Vermehrung der stark reduzierten Arten verhindern würde. Blau- Finn- oder Buckelwale hätten danach bei der Konkurrenz um das Krill-Vorkommen das Nachsehen.
Diese „Krill-Überschuß-Theorie“ sagt aus, dass die Jagd auf etwa zwei Millionen Wale im Südpolarmeer während des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts zu einem enormen Überschuß an Krill geführt hat, was die verbliebenen Krilljäger, zu denen die antarktischen Zwergwale gehören, stark begünstigt hat.
Neue Methodik: genetische Bestandsschätzung
Die neue Analyse, die diese Woche in der Fachzeitschrift Molecular Ecology erschienen ist, schätzt den derzeitigen Bestand an Zwergwalen – verglichen mit den historischen Zahlen – nicht als ungewöhnlich groß ein. Durch Anwendung eines neuen genetischen Verfahrens konnten die Wissenschaftler die typische Bestandsgröße von antarktischen Zwergwalen auf ca. 670.000 Tiere berechnen – was nach offizieller IWC-Schätzung dem aktuellen Bestand an Zwergwalen entspricht (inoffizielle, nicht veröffentlichte Schätzungen liegen sogar darunter).
„Einige Wissenschaftler, die für die Internationale Walfangkommission arbeiten, haben aufgrund der fehlenden Konkurrenz um die Krillvorkommen eine Vermehrung von antarktischen Zwergwalen auf das drei- bis achtfache des Bestandes aus dem 20. Jahrhundert vorgeschlagen,“ sagte Scott Baker, Walgenetiker an der Oregon State Universität (OSU) und stellvertretender Direktor des Meeressäugerinstitutes der OSU. “ Aber bis jetzt gab es wenig Beweise, um einzuschätzen wie der historische Bestand der Zwergwale wirklich war.“
Er ergänzt: „Unsere Untersuchung zeigt, dass Zwergwale heute eine große genetische Vielfältigkeit haben, was auf eine lange Geschichte großer und relativ stabiler Populationen hindeutet.“
Zusammen mit Kristen Ruegg und Steve Palumbi von der Universität Stanford, haben Baker und die OSU Wissenschaftlerin Jennifer Jackson die DNA von 52 Zwergwalfleisch-Proben untersucht, das auf japanischen Märkten gekauft wurde. Die Wale wurden beim umstrittenen wissenschaftlichen Walfang der Japaner in der Antarktis getötet. Durch die Vermehrung und Sequenzierung einer großen Anzahl von Genen konnten die Wissenschaftler die historischen Bestände abschätzen, die notwendig waren, um die in den Proben einzelner Zwergwale gefundene genetische Vielfalt zu erzeugen und zu erhalten.
„Diese Gen-Untersuchung bedeutet einen signifikanten Fortschritt gegenüber den vorherigen Studien, die die genetische Vielfalt nur an einer Handvoll genetischer Marker untersucht haben.“
Walfang als größtes Ökosystem-Experiment
Das Südpolarmeer ist eines der größten und produktivsten Ökosysteme der Welt, in dem im 20. Jahrhundert eines – wie Baker es nannte „der dramatischsten Experimente der Veränderung von Ökosystemen stattgefunden hat.“ Die Auslöschung fast aller großer Wale – wie Blau-, Finn- und Buckelwale – hat für eine Entfernung einer riesigen Biomasse von Beutegreifern aus dem Ökosystem gesorgt und die die Dynamik von Räuber-Beute-Beziehungen geändert.
Blauwale wurden auf 1-2 Prozent ihrer ursprünglichen Zahlen reduziert; Finnwale auf 2-3 Prozent und Buckelwale auf weniger als 5 Prozent. „Die gesamte Reduktion von Großwalen war erschütternd,“ sagte Baker.
„Es kann sein, dass die Fortnahme großer Wale mehr Nahrung für die Zwergwale bedeutete,“ sagt Baker, „aber wir wissen nicht viel über den historischen Bestand des Krills und ob die verschiedenen Walarten an den gleichen Orten oder zur selben Zeit um ihn konkurrierten. Es ist möglich, dass es vor dem Walfang genug Krill für alle Walarten gab.“
Die Wissenschaftler ergänzten, dass die Größe der derzeitigen Zwergwalpopulationen von anderen Faktoren abhängen, wie z.B. den Änderungen bei der Meereisdecke.
„Im Endeffekt erscheint die Krill-Überschuß-These in Bezug auf die Zwergwale nicht haltbar zu sein. Die Waljagd nur aufgrund der Annahme zu steigern, dass Zwergwale andere große Walarten verdrängen, wäre eine fragwürdige Strategie, “ sagte Baker.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Oregon State University. Die vorgestellten Untersuchungen wurden durch Zuwendungen des Lenfest Ocean Program und des Marsden Fund der New Zealand Royal Society ermöglicht.
Herzlichen Dank an Franklin Cat bei Flickr.com für die Verwendung seines Bildes „TVedit154„.
Literatur
THE INSTITUTE OF CETACEAN RESEARCH (ICR) (Jahr unbekannt):
Why Whale Research? (PDF; 1,2 MB)
www.icrwhale.org
RUEGG, K. C., E. C. ANDERSON, C. S. BAKER, M. VANT, J. A. JACKSON UND S. R. PALUMBI (2009):
Are Antarctic minke whales unusually abundant because of 20th century whaling?
Molecular Ecology 19: 281-91.
Links
- Cetacean Conservation and Genetic Laboratory (CCGL) der Oregon State University
- The Palumbi Lab
- C. Scott Baker – Homepage
Sehr brauchbar für eine Diskussion anlässlich einer Matinee zum Greenpeace-Film „Jagdzeit“. Besten Dank