Die Entstehung der Wale (Cetacea) begann, so belegen rund 50 Millionen Jahre alte Fossilien von Urwalen aus Indopakistan, mit einer Umstellung der Fressgewohnheiten. Die Spezialisierung auf das Fischefangen hinterließ an den Zähnen der Tiere charakteristische Abnutzungsspuren. Fast 20 Millionen Jahre jünger sind Fundstücke, die einen neuen Entwicklungsschub innerhalb der Cetacea dokumentieren: die Entstehung der Bartenwale (Mysticeti), die im Laufe ihrer Evolution die Zähne durch fransige Hornlamellen (Barten) im Oberkiefer ersetzen. Auch hier ist der Ausgangspunkt eine Veränderung des Fressverhaltens.
Kapitelübersicht:
- Die Entstehung der Bartenwale, Llanocetus
- Mammalodon, Aetiocetus
- Mauicetus, Cetotheriopsis
- Cetotherium, Mesocetus
- Balaenidae
- Balaenopteridae, Eschrichtiidae
- Literatur
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Die Entstehung der Bartenwale
Nach dem Auseinanderbrechen des Gondwana-Kontinents konnten sich im Alttertiär kalte Meeresströmungen rund um die Antarktis etablieren. Sie hatten direkte Auswirkungen auf das verstärkte Auftreten von Plankton. Pflanzliches Plankton zieht kleine wirbellose Tiere (Krill) an, denen es als Nahrung dient. Der Krill wiederum dient als Nahrung für größere Tiere. Und damit sind wir bei den Walen: Manche Wale stellten sich darauf ein, mit Hilfe ihres Gebisses große Mengen kleiner Futtertiere aus dem Wasser zu filtern. Die morphologische Ausgangsform des Gebisses repräsentiert dabei die Bezahnung fortgeschrittener Archaeoceti (Urwale): Die Kronen ihrer Backenzähne bilden gekerbte Schneiden, so dass jeder Zahn außer einer Hauptspitze noch eine Reihe mehrerer Nebenspitzen trägt.
Die morphologische Anpassung an das Filtrieren sieht zunächst so aus, dass die Backenzähne weit voneinander entfernt stehen, ihre Nebenspitzen aber sehr stark ausgeprägt werden. Dadurch entsteht eine Art Gitter, das für die neue Form der Nahrungsaufnahme besonders geeignet ist.
Llanocetus
Dieses Stadium findet sich bei dem 34 Millionen Jahre alten Llanocetus denticrenatus von der Seymour-Insel. Die liegt östlich des Nordzipfels der antarktischen Halbinsel, mit der die Antarktis sich in Richtung Südamerika streckt. Das Fossil des Llanocetus denticrenatus befindet sich im Besitz der amerikanischen Smithsonian Institution und wurde im Jahre 1989 von EDWARD D. MITCHELL beschrieben. Der Gattungsname bezieht sich auf den Amerikaner GEORGE A. LLANO, der in Washington für die Polarprogramme der Nationalen Wissenschaftsstiftung tätig war und sowohl Schiffs- als auch Fossilstudien über Wale gefördert hat.
Erhalten ist von Llanocetus denticrenatus ein Schädelfragment, das noch an Archaeoceti erinnert. Dazu gehört ein natürlicher Hirnausguss, wie man ihn auch von verschiedenen Urwalen aus Indopakistan und Ägypten kennt. Ebenso zählt das Fragment eines Unterkieferastes mit Zähnen dazu. Dabei ist der Kiefer noch nicht so gebaut wie bei heutigen Bartenwalen. Und Barten lassen sich noch nicht nachweisen. Trotzdem wird dieses Tier bereits den Mysticeti zugeordnet: Es hat als Filtrierer erkennbar den Entwicklungsweg eingeschlagen, der schließlich zu den heutigen Bartenwalen führt.
Die ersten Bartenwale (Mysticeti) hatten also noch gar keine Barten, ähnlich wie die ersten Wale überhaupt noch keine reinen Wassertiere waren, sondern noch auf vier Beinen an Land gehen konnten.