Retrospektive Betrachtungen zum Robbensterben 1988/89

von | | | 30. Januar 2001

Eine Übersicht der pathologisch-anatomischen und -histologischen Veränderungen bei den untersuchten Seehunden (Phoca vitulina) aus deutschen Gewässern

Prof. Dr. Joachim Pohlenz
Institut für Pathologie, Tierärztliche Hochschule Hannover

Vortrag am 30. Jamuar 2001
im Hörsaal des Museumsgebäudes, Tierärztliche Hochschule Hannover

Zusammenfassung

Leider liegt uns eine Zusammenfassung des Vortrages von Prof. Pohlenz noch nicht vor. An dieser Stelle lesen Sie stattdessen eine zusammenfassende Information über die Geschehnisse des Robbensterbens von Arnim Andreae.

Zum Vorkommen von Robben (Pinnipedia)
in der Nord- u. Ostsee

Im gesamten Küstenbereich von Nord- und Ostsee ist der Seehund (Phoca vitulina) als einheimisch anzusehen. Die Kegelrobbe (Halichoerus grypus) wird in der Nordsee vornehmlich in den nördlicheren Küstenregionen von Großbritannien, an der Westküste vor Norwegen und im nordöstlichen Gebiet der Ostsee als einheimisch angesehen. Die kleinste Robbenart, die Ringelrobbe (Phoca hispida) kommt vornehmlich im Finnischen- und Bottnischen Meerbusen vor. Im deutschen Küstenbereich der Ostsee wird sie eher selten gesichtet (1950 bis 1995 insgesamt 18 Sichtungen und angeschwemmte Kadaver), wobei eine Häufung während der Jahre 1986/87 registriert wurde.

Weitere Robbenarten wie die gelegentlich noch zu beobachtende Bartrobbe (Erignathus barbatus), die Sattelrobbe (Phoca groenlandica) und das sehr selten gesichtete Walroß (Odobenus rosmarus) müssen als zugewanderte Irrgäste betrachtet werden.

Überblick zu den Ereignissen im Jahr 1988:

Im April 1988 wurden auf einer Seehundbank (Anholt / Kattegat) Frühgeburten und ein vermehrtes Auftreten von lebensschwachen Jungtieren beobachtet. Anfang Mai waren bereits alle Jungtiere des Jahrganges verendet. In den folgenden Tagen wurden Seehundkadaver im Bereich des niedersächsischen Wattenmeerküste und vor Sylt angeschwemmt. Mitten in der Hauptbadessaison, im August 1988, erreichte das als „Seehundsterben“ bekannt gewordene Phänomen mit 500 in Schleswig-Holstein angespülten Tierkadavern pro Woche seinen Höhepunkt. In der Folge bildeten sich auf Amrum und Sylt kilometerlange Menschenketten, womit gegen die öffentlich vermutete Ursache, die Verschmutzung der Meere protestiert wurde. Erstaunlicherweise waren schon bis zum Herbst 1988 mehr Kadaver angeschwemmt, als man für die gesamte Region an vorhandenen Tieren geschätzte hatte.

Durch Untersuchungen zum Schadstoffgehalt in den Tierkörpern wurde eine insgesamt hohe Schadstoffbelastungen festgestellt, was allerdings kein unbekannter Fakt war. Hieraus ergab sich jedoch aufgrund der hohen Anzahl der Kadaver ein ernsthaftes Entsorgungsproblem.

Um die Ursachen für dieses hier erstmals eingetretene Phänomen zu erforschen wurden vom Bund und Ländern relativ schnell Mittel freigegeben, wodurch unter anderem auch an der TiHo (Institut für Pathologie, -Immunologie, -Virologie, -Parasitologie, -Mikrobiologie) geforscht wurde. Eine niederländische Forschergruppe vermutete als erste, aufgrund der vielfach diagnostizierten Encephalitis (später als Seehundstaupe-Encephalitis beschrieben) eine Infektion mit Morbilliviren und konnte aus dem Material Virusantigen isolieren. Das Virus wurde als bislang unbekanntes Phocine Distemper Virus (PDV) klassifiziert.

Im Dezember 1988 musste in einer vorläufigen Bilanz festgestellt werden, dass der Seehundbestand durch diese Epidemie im Bereich Kattegatt und Skagerrak um über 60%, in der Ostsee um 50% reduziert wurde. Insgesamt sind an den Küsten in verschiedenen Ländern über 17.000 Seehunde als verendet registriert worden, davon alleine 5820 an der schleswig-holsteinischen Küste und 1100 im Bereich des niedersächsischen Wattenmeeres.

Bei einer Bestandsaufnahme im Jahr 1998, also 10 Jahre später, konnte festgestellt werden, dass wieder mehr Seehunde in den Gewässern lebten als kurz vor der Epidemie. Untersuchungen ergaben, dass die Geschlechtsreife der Tiere sich von 4-5 Jahren auf ca. 3 Jahre reduzierte. Zudem wurde der Ernährungszustand (Speckdicke) der Tiere nach Angaben des Forschungs- und Technologiezentrums in Büsum (FTZ) als gut bezeichnet.

Unter bestimmten Voraussetzungen befürchten einige Leute, dass die einheimischen Robben erneut durch eine Epidemie mit Morbilliviren dezimiert werden könnten, da viele Tiere inzwischen keine ausreichend hohen Antikörpertiter aufweisen und die Populationsdichte relativ hoch ist.

Nach wie vor scheint die Frage strittig zu sein, wie sehr das Immunsystem der Tiere durch eine hohe Schadstoffbelastung, hier besonders mit polychlorierten Biphenylen (PCB) belastet wird.

Weiterhin wird diskutiert, wodurch eine mögliche Zuwanderung von Robben aus anderen Gewässern ausgelöst wurde und ob diese zugewanderten, möglicherweise infizierten Tiere die Infektion in eine immunologisch naive Population getragen haben.

 

Empfohlene Literatur

COSBY, S.L., S. MCQUAID, N. DUFFY, C. LYONS, B.K. RIMA, G.M. ALLAN, S.J. MCCULLOUGH, S. KENNEDY, J.A. SMYTH, F. MCNEILLY, C. CRAIG u. C. ORVELL (1988):
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Impairment of immune function in harbor seals (Phoca vitulina) feeding on fish from polluted waters
Ambio 23, 155-159

 

Empfohlene Internetadressen

Dörthe Schrader hat bei Wal und Mensch über Seehunde in der Nordsee berichtet.

Sehr gute Informationen finden sich zum Thema Seehund unter: http://www.seehundstation-norddeich.de

Einen Rückblick auf die Ereignisse während der Jahre 1988-1989 gib es von der Schutzstation Wattenmeer e.V. unter http://www.schutzstation-wattenmeer.de

Thomas Mauersberg betreibt das sehr informative Seehund-Portal www.seehund.de.