Ganz nebenbei haben Walforscherinnen und Walforscher um Olga Filatova und Ivan Fedutin von der Süddänischen Universität die Anwesenheit von Schnabelwalen nahe der Küste bei den Kommandeurinseln bemerkt. Nach fünf Jahren Dokumentation war klar: Diese Sichtungen waren nicht zufällig, die Baird-Schnabelwale nutzen ein küstennahes Habitat und weitere Schnabelwale lernen, es ihnen nachzutun.
Manche Tiere leben in so abgelegenen und unzugänglichen Regionen der Erde, dass es fast unmöglich ist, sie in ihrem natürlichen Lebensraum zu studieren. Schnabelwale, von denen bisher 24 Arten bekannt sind, gehören dazu: Sie leben weit entfernt vom Land im offenen Ozean, wo sie in Tiefen von 500 Metern und mehr nach Nahrung suchen.
Der Rekordhalter für den tiefsten Tauchgang eines Säugetiers ist ein Cuvier-Schnabelwal, bei dem im Jahr 2014 ein Tauchgang von mindestens 2992 Metern gemessen wurde. Ein Schnabelwal hält auch den Säugetierrekord für den längsten Tauchgang: 222 Minuten.
Per Zufallsbefund zu den Schnabelwalen im nördlichen Pazifik
Nun erhält die Welt durch eine wissenschaftliche Studie über eine Population von Baird-Schnabelwalen einen neuen und überraschenden Einblick in die Welt der weithin unbekannten Schnabelwale. Die Population wurde unerwartet in Küstennähe und in seichteren Gewässern als bisher beobachtet gefunden.
Schnabelwale
Wir kennen 24 Arten von Schnabelwalen, die zu den Zahnwalen gehören. Einige sind nur von Strandungen und Schädelfunden bekannt, und Fotos von ihnen sind im Allgemeinen selten. Der Baird-Schnabelwal ist der größte unter den Schnabelwalen und erreicht eine Länge von bis zu 10 Metern. Das Weibchen ist etwas größer als das Männchen. Sowohl Weibchen als auch Männchen haben einen charakteristischen Unterbiss mit zwei Zahnpaaren im Unterkiefer.
Die Studie wird von den Walbiologen Olga Filatova und Ivan Fedutin von der Universität von Süddänemark/Fjord&Bælt geleitet und in der Zeitschrift Animal Behaviour veröffentlicht.
Filatova und Fedutin haben viele Jahre im Gebiet des nördlichen Pazifiks geforscht. Während einer Expedition zu den Kommandeurinseln im Jahr 2008 sahen sie zum ersten Mal eine Gruppe von Baird-Schnabelwalen in der Nähe der Küste.
„Wir waren dort, um nach Schwertwalen und Buckelwalen zu suchen, also haben wir nur dokumentiert, dass wir eine Gruppe von Baird-Schnabelwalen gesehen hatten, und haben nicht viel unternommen. Aber wir sahen sie auch in den folgenden Jahren, und nach fünf Jahren vermuteten wir, dass es sich um eine stabile Gemeinschaft handelte, die regelmäßig dasselbe Gebiet besuchte. Wir sahen sie jedes Jahr bis 2020, als Covid 19 uns daran hinderte, zu den Kommandeurinseln zurückzukehren“, erklärt Olga Filatova, die ursprünglich an der Universität von Moskau arbeitete und nun am Meeresbiologischen Forschungszentrum der Süddänischen Universität in Kerteminde forscht.
Baird-Schnabelwale in auffälliger Küstennähe
Die untersuchte Population von Baird-Schnabelwalen hielt sich weniger als vier Kilometer vom Land entfernt auf und wurde in Gewässern in einer Tiefe von weniger als 300 Metern beobachtet.
„Das ist untypisch für diese Art“, sagt Olga Filatova, die auch darauf hinweist, dass sich die Population wahrscheinlich an diesen besonderen Lebensraum angepasst hat und damit von der gängigen Vorstellung abweicht, dass sich alle Schnabelwale weit draußen auf dem Meer und in tiefen Gewässern aufhalten.
„Das bedeutet, dass man nicht erwarten kann, dass sich alle Individuen einer bestimmten Art gleich verhalten. Eine Herausforderung für den Artenschutz – in diesem Fall kann man zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass Schnabelwale nur weit draußen in der Tiefsee leben. Wir haben gezeigt, dass sie auch in flacheren und küstennahen Gewässern leben können. Möglicherweise gibt es noch andere Lebensräume, die uns noch nicht bekannt sind“, sagt Olga Filatova.
Walarten entwickeln ihr Verhalten passend zum Habitat
Es gibt viele Beispiele dafür, dass sich Individuen der gleichen Walart nicht gleich verhalten. In der Welt der Wale ist es üblich, dass Gruppen derselben Art an verschiedenen Orten leben, unterschiedliche Beute fressen, unterschiedlich kommunizieren und sich nicht gerne mit Artgenossen in anderen Gruppen vermischen.
Während sich einige Schwertwale auf Meeressäugetiere wie Robben und Schweinswale spezialisiert haben, jagen andere nur Hering. Einige Buckelwale wandern zwischen den Tropen und der Arktis, andere sind in bestimmten Gebieten ansässig. Pottwalfamilien haben ihre eigenen Dialekte für die interne Kommunikation entwickelt und kommunizieren nicht gerne mit anderen außerhalb der Gruppe.
Olga Filatova zufolge ist soziales Lernen im Spiel, wenn Gruppen Vorlieben entwickeln, beispielsweise für Lebensräume und Beute.
Baird-Schnabelwale lernen durch Nachahmung
In der Tierwelt gibt es viele Formen des sozialen Lernens. Die komplexeste Form ist die Nachahmung: Das Tier sieht, was andere tun, und versteht die Motivation und die Überlegungen, die dahinter stehen. Dann gibt es noch das „local enhancement“ (frei übersetzt „Verstärkung durch den Ort“), bei dem ein Tier ein anderes Tier zu einem bestimmten Ort gehen sieht, ihm folgt und lernt, dass dieser Ort einen Wert hat. Dies wurde bei vielen Tieren, einschließlich Fischen, beobachtet.
Olga Filatova glaubt, dass die Population der Baird-Schnabelwale auf den Kommandeur-Inseln durch „local enhancement“ lernt: Sie sehen, dass einige Artgenossen in das flachere Wasser nahe der Küste gehen, folgen ihnen und entdecken, dass es ein guter Ort ist, wahrscheinlich weil es dort viele Fische gibt.
„Das wird zu einer kulturellen Tradition, und es ist das erste Mal, dass eine kulturelle Tradition bei Schnabelwalen beobachtet wurde“, sagt sie.
Andere Beispiele für kulturelle Traditionen bei Walen sind spezielle Jagdtraditionen: Einige schlagen mit dem Schwanz, um Fische zu betäuben, andere erzeugen Wellen, um Robben von Eisschollen zu spülen, und wieder andere jagen Fische an den Strand.
Heimische und durchziehende Schnabelwale
Die Forscher beobachteten von 2008 bis 2019 insgesamt 186 Individuen der Baird-Schnabelwalart auf den Kommandeurinseln. 107 wurden nur einmal beobachtet und daher als vorübergehende Wale eingestuft. 79 Individuen wurden mehr als ein Jahr lang gesichtet und wurden daher als ansässig eingestuft.
61 der durchreisenden Wale wurden bei der Interaktion mit den heimischen Walen beobachtet, sieben von ihnen wurden im flachen Wasser gesehen.
„Die Durchreisenden sind mit den örtlichen Gegebenheiten nicht so vertraut wie die ansässigen Wale und suchen daher normalerweise in den für ihre Art üblichen Tiefen nach Nahrung. Aber wir haben tatsächlich einige Durchreisende im flachen Bereich beobachtet. Dabei handelte es sich um Individuen, die in irgendeiner Form sozialen Kontakt mit den Anwohnern hatten. Durch diesen Kontakt haben sie wohl das flache Wasser und seine Vorteile kennen gelernt“, sagt Olga Filatova.
Es ist unklar, wie viele Baird-Schnabelwale es auf der Welt gibt.
Die Studie wurde von Rufford Small Grants, Whale and Dolphin Conservation, Animal Welfare Institut und Russian Fund for Fundamental Research unterstützt. Die Forschung von Olga Filatova wird auch vom Human Frontier Science Program unterstützt.
Basierend auf einer Presseinformation der Süddänischen Universität SDU
Besprochene Fachpublikation
FILATOVA, O. A., I. D. FEDUTIN, I. G. MESCHERSKY, E. G. MAMAEV und E. HOYT (2024):
Unusual use of shallow habitats may be evidence of a cultural tradition in Baird’s beaked whales.
Animal Behaviour 209: 121-128.
DOI: 10.1016/j.anbehav.2023.12.021
Fachveröffentlichungen zum Thema
ALVES, F., S. L. MESNICK, M. ROSSO und R. L. PITMAN (2023):
Beaked Whale Sexual Dimorphism, Mating Strategies, and Diversification.
Sex in Cetaceans.
Verlag Springer International Publishing, Cham, S. 385-413
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Animal cultures matter for conservation.
Science 363(6431): 1032-1034.
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Echolocation depths and acoustic foraging behavior of Baird’s beaked whales (Berardius bairdii) based on towed hydrophone recordings.
Marine Mammal Science 39(1): 289-298.
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Beaked Whales: A Complete Guide to Their Biology and Conservation.
Verlag Johns Hopkins University Press.
WHITEHEAD, H., L. E. RENDELL, R. W. OSBORNE und B. WÜRSIG (2004):
Culture and conservation of non-humans with reference to whales and dolphins: Review and new directions.
Biological Conservation 120(3): 431-441.
Links zum Thema
Marine Biological Research Centre in Kerteminde (Süddänische Universität)
Erich Hoyt: Kultur bei Schnabelwalen.
Sehr lesenswert sind die Beiträge von Bettina Wurche über Schnabelwale wie alles andere von Meertext sowieso.