Amazonas: Flussdelphine

von Judith Denkinger | Yaqu Pacha | Krailing | 19. Juni 2002

Die Dissertation der deutschen Biologin Judith Denkinger ist ab sofort auf den Webseiten von yaqu pacha e.V. in einer PDF Version (7,2 MB) herunterzuladen. Jeder, der die Danksagungen aus dieser Dissertation liest, kann erahnen, welch ein abenteuerliches Projekt hinter dem Titel Demographische Untersuchungen am Amazonasdelfin (Inia geoffrensis) im Cuyabeno Reservat in Ecuador steht. Die Zusammenfassung der Dissertation finden Sie hier, damit Sie abschätzen können, ob sich ein Download der grossen Datei für Sie lohnt. Als Anhang findet sich unter anderem ein Photo-ID Catalogue der beobachteten Tiere.

Zusammenfassung

Cover Dissertation Judith Denkinger über Amazonas-Fliussdelfine
Amazonasdelfine (Inia geoffrensis), des weiteren Inia genannt, sind im gesamten Amazonas- und Orinocobecken verbreitet. In Ecuador kommen sie in den Flussystemen des Pastaza, Curaray, Napo und Aguarico vor. Besonders im Cuyabeno Reservat im System des Aguarico können diese Tiere regelmässig angetroffen werden. Aus diesem Grund wurden die in Ecuador existierenden Studien über Inia auch im Cuyabeno Reservat durchgeführt. Generell gibt es bisher nur sehr wenig Informationen über die Populationsdynamik, die Habitatnutzung oder das Sozialsystem von Inia, auch fehlen standardisierte Methoden, um beispielsweise Populationsschätzungen aus verschiedenen Studiengebieten miteinander vergleichen zu können. Die bisherigen Studien im Cuyabeno Reservat in Ecuador beschränken sich lediglich auf eine Bestätigung des Vorkommens von Inia im Lagartococha und eine Schätzung der Populationsdichte in den unteren 15 km dieses Flusses. Darüberhinaus gibt es keine Untersuchungen über mögliche anthropogene Störungen auf aquatische Säugetiere im Cuyabeno Reservat, obwohl an den Zuflüssen des Reservats Öl gefördert wird und der Tourismus jedes Jahr zunimmt. Deshalb wurden im Rahmen dieser Arbeit demographische Untersuchungen am Amazonasdelfin (Inia geoffrensis) im Cuyabeno Reservat, Ecuador“, Grundkenntnisse über die Populationsgrösse anhand verschiedener Methoden, über die Habitatnutzung, die Sozialstruktur sowie anthropogene Einflüsse auf diese Art im Cuyabeno Reservat, geschaffen.

Das Verbreitungsgebiet von Inia im Cuyabeno Reservat erstreckt sich über ca. 381 Flusskilometer entlang des Aguarico und seinen Zuflüssen. Von den Zuflüssen bewohnt Inia nur den Cuyabeno und den Lagartococha im Großteil ihres Verlaufs, während sie kleinere Zuflüsse, wie den Sabalo, Juanillas oder Cocaya nur im Mündungsbereich mit dem Aguarico nutzen. Im Aguarico selbst wird die Verbreitung flussaufwärts des Reservats von Stromschnellen und Strudeln, den Remolinos, begrenzt. Ausserdem ist die Verbreitung von Inia von den Wasserstandsschwankungen zu den verschiedenen Jahreszeiten abhängig, so müssen sie beispielsweise den Oberlauf des Cuyabeno während der Trockenzeit verlassen und in tiefere Flussgebiete, wie dem Unterlauf des Cuyabeno, dem Aguarico oder dem Lagartococha ziehen.

Für die Populationsschätzungen wurden zwei verschiedene Methoden angewandt, die Strip Transect Methode und die Methode der Mehrfachsichtungen von photographisch identifizierten Tieren (marc recapture“ mit Photoidentifikation). Die Strip Transect Methode wurde für die Berechnung der Populationsdichte in verschiedenen Flussbereichen und zu verschiedenen Jahreszeiten benutzt. Diese Methode wurde darüberhinaus durch die Einführung der Sichtungswahrscheinlichkeit erweitert und so für die Schätzung der Populationsgrösse verwendet. Die Sichtungswahrscheinlichkeit von Inia wird signifikant vom Wasserstand und von der Grössenklasse der Tiere beeinflusst. Bei Hochwasser oder mittlerem Wasserstand zum Beispiel ist die Sichtungswahrscheinlichkeit sehr gering, da sich die Tiere nicht nur im Flussbett, sondern auch in benachbarten Lagunen oder überschwemmten Wäldern aufhalten können. Was die drei Groessenklassen, Adulte, mittelgrosse Tiere und Kaelber, betrifft, so ist die Wahrscheinlichkeit Kaelber zu sichten am Groessten, waehrend Adulte Tiere die geringste Sichtungswahrscheinlichkeit haben.

Amazonas Flussdelfin aus Field book of giant fishes, New York, G. P. Putnam (1949)

Aufgrund der Untersuchungen der Sichtungswahrscheinlichkeit, eignen sich die Hochwasser und die Uebergangsjahreszeiten nicht für Populationsschätzungen von Inia. Bei Niedrigwasser hingegen beträgt die Sichtungswahrscheinlichkeit p = 0,67, was bedeutet, dass bei diesem Wasserstand sehr gute Populationschätzungen erzielt werden können. Zusätzlich wurde die Populationsgrösse durch die marc-recapture Methode über Photoidentifikation bestimmt. Um sicher zu gehen, dass diese Methode für Inia über einen längeren Zeitraum hinweg anwendbar ist, wurde die Beständigkeit verschiedener Merkmale, wie Kerben, Kratzer und Pigmentierungen untersucht. Da die Markierungen auch über lange Zeiträume bis zu 5 Jahren erhalten bleiben stellt die Photoidentifkation eine sehr gute Möglichkeit für Populationsschätzungen dar. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass Pigmentierungen weniger zuverlässig als Kerben oder Kratzer sind, da Inia die Intensität der Pigmentierung ändern und je nach Aktivitätszustand von grau nach rosa oder umgekehrt wechseln kann. Manche Pigmentierungen konnten jedoch über fast zwei Jahre verfolgt werden. Die Untersuchungen über die Populationsdichte zeigen deutlich den Einfluss des Wasserstandes auf das Vorkommen der Delfine in verschiedenen Flussabschnitten zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Bei Hochwasser und bei mittleren Wasserständen ist die Populationsdichte im Fluss deutlich niedriger als bei niedrigem Wasserstand, was darauf zurückzuführen ist, dass sich die Tiere so lange wie möglich in den angrenzenden Lagunen und überschwemmten Wäldern aufhalten. Die Populationsdichte im Cuyabeno schwankt daher von 0,04 Inia/km Fluss bei Hochwasser bis zu 0,47 Inia/km Fluss bei niedrigem Wasserstand. Im unteren Bereich des Lagartococha, der nicht so sehr von den jahreszeitlichen Wasserstandsschwankungem betroffen ist, wie der Cuyabeno, bleibt die Populationsdichte das ganze Jahr über konstanter mit 0,21 Inia/km Fluss bei Hochwasser bis 0,27 Inia/km Fluss bei Niedrigwasser. Die Populationsgrösse von Inia im Cuyabeno Reservat konnte in der Trockenzeit 1996/1997 über die Methode der Strip Transekte mit 79 Tieren für das gesamte Reservat geschätzt werden, während 1997/1998 über dieselbe Methode nur 60 Tiere geschätzt wurden. Die über die Strip Transekte Demographische Untersuchungen an Inia geoffrensis von 1997/1998 errechnete Populationsgrösse konnte jedoch mit der Methode des marc recapture verglichen werden, durch die eine Populationsgrösse von 61,2 Tieren im gesamten Cuyabeno Reservat berechnet wurde. Dieser Vergleich zeigt, dass beide Methoden, die der Strip Transekte unter Einbeziehung der Sichtungswahrscheinlichkeit und der marc recapture Methode für Schätzungen der Populationsgrösse anwendbar sind.

Auch in der Analyse der Habitatnutzung wird der Einfluss des Wasserstandes auf die Verbreitung der Delfine zu den verschiedenen Jahreszeiten deutlich, denn zur Regenzeit und während der Übergangszeiten bevorzugen sie Lagunen mit Igapó, das sind überschwemmte Wälder, oder Lagunen und langsam fliessende Flussabschnitte mit Schilfbereichen und wandern erst bei sinkendem Wasserstand flussabwärts, wo sie sich dann überwiegend in den Mündungsbereichen der Schwarzwasserflüsse, in Ueberschwemmungswaeldern entspringende Gewaesser mit schwarzem, huminstoffreichem Wasser, mit Weisswasserflüssen, in den Anden entspringende sedimentreiche Gewässer mit trueber, weisser Faerbung des Wassers, aufhalten. Die unterschiedliche Nutzung verschiedener Lebensräume spiegelt sich auch im Verhaltensspektrum wieder. Verhaltensweisen, die mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung gebracht werden können, treten zum Beispiel überwiegend in Lagunen oder Flussbereichen mit Igapó oder Schilf und in den Mündungsbereichen von Schwarzwasserflüssen mit Weisswasserflüssen auf, während in engen Flussabschnitten und in breiten Flussabschnitten mit Sandbänken überwiegend Wandern beobachtet werden konnte. Das Tagesprofil einer Lagune im Lagartocochasystem zeigt, dass nicht nur jahreszeitlich bedingt, sondern auch im Tagesverlauf verschiedene Bereiche eines Habitats nutzen. In den Morgenstunden ruhen die Delfine überwiegend in der Mitte der Lagune und sind erst tagsüber und in den Abendstunden in den Randbereichen mit Schilfgürtel zu sehen, wo sie überwiegend mit der Nahrungsaufnahme beschäftig sind. Insgesamt legt Inia innerhalb eines Tages oder in wenigen Tagen keine grösseren Strecken zurück, sondern hält sich innerhalb eines 20km Bereichs auf. Langfristig können sie jedoch auch längere Wanderungen unternehmen, so wurden die meisten identifizierten Tiere innerhalb von 0-50km oder von 100- 150km wiedergesehen, was deutlich zeigt, dass sie grössere Abschnitte innerhalb eines Flusses nutzen und auch von einem Flussystem zum anderen, vom Cuyabeno zum Lagartococha und umgekehrt wandern. Aber auch längere Wanderungen von über 200km konnten bei einigen Individuen nachgewiesen werden.

Entgegen Beobachtungen von Inia im mittleren Amazonas in Brasilien, wo überwiegend Einzeltiere gesehen wurden, kam Inia im Cuyabeno Reservat hauptsächlich in Gruppen von 2 oder mehreren Tieren vor. Das Altersspektrum der Delfine wurde analysiert, indem die Tiere in 3 verschiedene Grössenklassen eingeteilt wurden, wobei die meisten Tiere eine mittlereLänge von 1-2m hatten. Erstaunlich ist der hohe Anteil von Kälbern (Tiere bis zu 1m Länge), der 30% aller gesichteten Tiere ausmachte, während der Anteil erwachsener Tiere mit mehr als 2m Länge nur bei 12% lag. Die Verteilung der Grössenklassen in den verschiedenen Gruppengrössen im Cuyabeno und im Lagartococha unterscheidet sich deutlich voneinander. Hier ist besonders bemerkenswert, dass 25% der einzeln gesichteten Tiere im Lagartococha Kälber waren. Ansonsten befanden sich die Kälber überwiegend in Dreiergruppen. Im Gegensatz zu anderen Delfinarten, bei denen die Mutter-Kalb- Bindung sehr eng ist, lassen die Inias im Lagartococha ihre Kälber für mehrere Stunden allein. Sie bilden jedoch meist grössere Gruppen für die Aufzucht der Jungen. Über die Gruppentreue dieser Delfinart ist bisher wenig bekannt. Einige der identifizierten Tiere wurden in der Untersuchungsperiode von 1996 bis 1999 bis zu drei mal mit dem gleichen Partner gesehen was auf stabile Gruppenverbände schliessen lässt.

Obwohl das Cuyabeno Reservat ein Schutzgebiet ist, wird es mit verschiedenen menschlichen Einflüssen konfrontiert. Abgesehen von den verschiedenen Indianerstämmen, die zum grossen Teil von der schnell wachsenden Zivilisation ausserhalb des Reservats zurückgedrängt wurden, kann die Produktion von Erdöl und die Nutzung der Randgebiete als Agrarland sowie der Tourismus das ökologische Gleichgewicht im Reservat beeinträchtigen. Wasseruntersuchungen in verschiedenen Bereichen des Studiengebietes zeigen deutlich, dass der Cuyabeno und besonders die Zuflüsse Tarapuy und Aguas Negras von der Ölförderung beeinflusst sind und Abwasser aus der Ölproduktion mit sich führen. Auch der mit dem Tourismus wachsende Bootsverkehr ist ein Störfaktor für die Flussdelfine, die auf Motorenlärm mit erhöhten Atemfrequenzen reagieren und bei vorbeifahrenden Kanus länger unter Wasser bleiben, um diese zu vermeiden.

Der Status von Inia im Cuyabeno Reservat ist daher nicht gesichert. Seit 1994 konnte ein geringfügiger Rückgang der Iniapopulation beobachtet werden und Nachforschungen über die Präsenz des sympatrisch lebenden Tucuxi (Sotalia fluviatilis) ergaben, dass diese Art seit 1990 aus dem Reservat weitgehend verschwunden ist. Inwieweit dies natürliche Ursachen hat, ist unklar. Es liegt jedoch nahe, dass die Verschmutzung der Gewässer durch die Ölfirmen und zahlreiche Unfälle mit auslaufendem Öl in das System der Lagunas Grandes und den Cuyabeno bis 1990 sowie verstärkte Gewässernutzung durch den Menschen diese Entwicklung begünstigen. Insgesamt befindet sich die Iniapopulation im Cuyabeno Reservat noch in einem guten Zustand, wenn man sie mit Populationsdichten aus anderen Gebieten des Amazonas- oder Orinocobeckens vergleicht. Es ist jedoch empfehlenswert über einen längeren Zeitraum hinweg Monitoringprogramme durchzuführen.

Das Vorschaubild (Amazonas Flussdelfin) stammt von Ana Claudia Jatahy – MTUR