Moby Dick aus dem All: Wale zählen auf Satellitenbildern

von Caroline Höschle | BioConsult SH | Husum | 3. August 2021

Moderne Weltraumtechnologie in Verbindung mit künstlicher Intelligenz hilft bedrohte Großwale besser schützen: Der neue Service „SPACEWHALE“ nutzt einen eigens entwickelten Algorithmus, um auf Satellitenbildern automatisch Wale zu erkennen und ihren Bestand und ihre Verbreitung auf hoher See zu beziffern. Entwickelt wurde die Methode von Naturwissenschaftlerinnen am unabhängigen Forschungs- und Consultingbüro BioConsult SH im norddeutschen Husum zusammen mit englischen und amerikanischen Wissenschaftlern. Unterstützt durch Mittel der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) im Rahmen des Space Solutions Programms.

Zwei Buckelwale aus der Vogelperspektive in der Arktis (Foto: Michael Schauer)

Neue Möglichkeiten durch Beobachtung aus dem All

Im Gegensatz zu bisherigen Tierzählungen vom Schiff oder Flugzeug aus kann mit Satellitenbildern die gesamte Meeresoberfläche der Erde abgedeckt werden. Zudem kann SPACEWHALE nicht nur Wale, sondern auch andere große Meerestiere erkennen. Viele Fragen, für die es bisher jeweils einzelne biologische Studien brauchte, lassen sich von nun an mit wenigen Klicks beantworten: Wo sind besonders viele Meeressäuger? Welche Gebiete werden von ihnen kaum genutzt? Wann durchqueren Wale eine bestimmte Region auf ihrer Wanderung? Mit den Antworten auf diese und andere Fragen lassen sich Lösungen finden, die einerseits den Artenschutz und andererseits die menschliche Nutzung der Meere vereinen: So lassen sich Zeiträume bestimmen, in denen Öl- und Gasexplorationen oder der Bau von Offshore‑Windparks die Tierwelt am wenigsten stören.

Die Erdbeobachtung durch Satelliten entwickelt sich derzeit rasant. «Es wird nur noch wenige Jahre brauchen, bis Raumfahrtunternehmen täglich hochauflösende Bilder vom gesamten Globus liefern», sagt Projektleiterin Caroline Höschle von BioConsult SH. «Das macht SPACEWHALE zu einem zukunftsweisenden Werkzeug, das aber auch schon mit dem heute üblichen Bildmaterial fantastische Dienste leistet.»

Über 70 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt und das meiste davon ist noch unerforscht. «Die intelligente Nutzung von Satellitenbildern bringt uns nun viele bislang unerreichbare Daten auf einen Schlag. Und SPACEWHALE ist Teil dieser Revolution», so Höschle weiter. «Wir können damit Gebiete des globalen Ozeans schnell und präzise nach Meeressäugern absuchen – und das zu ähnlichen Kosten, wie sie bei traditionellen Methoden für nur einen kleinen Bereich der Meere anfallen.» 

Künstliche Intelligenz für automatische Identifizierung

Automatische Bilderkennung wird heute für viele Anwendungen in unserem täglichen Leben eingesetzt. Um erfolgreich zu sein, muss sie jedoch zunächst mit vielen Bildern «trainiert» werden. Bisher gibt es jedoch kaum Satellitenbildern von großen Walen, die als Trainingsbilder genutzt werden könnten. Die Mitarbeitenden von BioConsult SH sowie der in England angesiedelten Tochterfirma HiDef Aerial Surveying Ltd. fanden für dieses Problem eine Lösung: Sie nutzten digitale Luftbilder der kleinsten Bartenwale, nämlich der 7 bis 10 Meter langen Zwergwale, die von monatlichen Monitoringflügen für Offshore-Windparks stammten. Die Forschenden konnten zeigen, dass der so trainierte Algorithmus anschließend auf Satellitenbildern beispielsweise 23 Meter lange Finnwale und weitere Walarten erkennen konnte. 

In ersten Anwendungen hat SPACEWHALE bereits zu erstaunlichen Erfolgen geführt: Im Mittelmeer entdeckte der Algorithmus deutlich mehr Finnwale als eine vorherige manuelle Untersuchung. Im Golf von Biskaya entdeckte der Algorithmus Finnwale sowie drei weitere Walarten. Vor Hawaii wurden mithilfe von SPACEWHALE erfolgreich Buckelwale gezählt und vor der argentinischen Küste Südliche Glattwale.

«SPACEWHALE wird einen wichtigen Beitrag zum Meeresschutz leisten», ist Höschle überzeugt. «Es liefert uns Informationen über entscheidende Lebensräume von Walen, welche bei der marinen Raumplanung einfließen können und die Folgenabschätzung von Offshore-Entwicklungen verbessern wird.» Auch der sich beschleunigende Klimawandel lässt vor allem für die arktischen Gewässer tiefgreifende Veränderungen und die damit verbundene rückläufige Eisbedeckung und menschliche Nutzung im Lebensraum der Großwale erwarten. Historische Verbreitungsgebiete und das ökologische Gefüge verändern sich. «Mit SPACEWHALE wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass Schutzmaßnahmen für bedrohte Großwale auch in den entlegensten Gebieten zielgerichtet umgesetzt werden können», so Höschle. 

Die ESA Space Solutions freut sich darüber, die Entwicklung des SPACEWHALE-Services zu unterstützen. «SPACEWHALE zeigt, dass die Anwendungsmöglichkeiten von Satellitendaten unbegrenzt sind und mit der zunehmenden Verfügbarkeit neuer Satellitenfähigkeiten, wie z. B. höher aufgelöste Bilder und eine verbesserte Abdeckung, weiter ansteigen. Dieses Projekt ist ein Beleg für das Engagement der ESA für den Schutz der biologischen Vielfalt und der natürlichen Ökosysteme zur Unterstützung der Ziele des Green Deal», so Rita Rinaldo, Leiterin der Abteilung für partnergeführte und thematische Initiativen, ESA Space Solutions.

Weitere Informationen finden Sie auf der Service-Website https://www.spacewhales.de/.

Fachpublikationen

BOROWICZ, A., H. LE, G. HUMPHRIES, G. NEHLS, C. HÖSCHLE, V. KOSAREV, und H. J. LYNCH (2019):
Aerial-trained deep learning networks for surveying cetaceans from satellite imagery.
PLoS One 14:e0212532.

HÖSCHLE, C., H. C. CUBAYNES, P. J. CLARKE, G. HUMPHRIES, und A. BOROWICZ (2021):
The Potential of Satellite Imagery for Surveying Whales.
Sensors (Basel) 21

Dies ist eine Presseinformation der BioConsult SH GmbH & Co. KG, Husum. Das Teaserbild zeigt einen Finnwal, erkannt vom SPACEWHALE-Algorithmus (Foto: BioConsult SH).